Es ist ein langer Weg. So sehr ich bei jeder kreativen Reise wieder hoffe, blitzgescheit und schnell einen Heureka-Moment finden zu können, so schmerzhaft muss ich jedes Mal wieder feststellen: Ohne Ausdauer keine Auswege aus kreativen Aufgaben! Geduld ist ein wichtiger Bestandteil kreativer Arbeit. Ideen müssen wachsen können, sich wandeln und Verbindungen eingehen.
Eine gute Übung für mein kreatives Ausdauer-Training ist das Nachlesen fremder Entstehungsgeschichten. Es motiviert mich, nachzuvollziehen wie andere von der Idee zum Produkt gekommen sind. Mich inspirieren die Umwege und Entwicklungen, die sie beschreiben. „Genau deshalb versuche ich, relativ wahllos alle Hintergrundberichte zu kreativen Prozessen zu verfolgen,“ habe ich in der Anleitung zum Unkreativsein notiert, „selbst wenn mich die jeweiligen Ergebnisse nicht interessieren. Das britische Nachrichtenmagazin »The Economist« verschickt zum Beispiel einen wöchentlichen Newsletter an Abonnent*innen, in dem die Redakteur*innen und Designer*innen erklären, wie sie auf das aktuelle Titelbild gekommen sind. Sie dokumentieren in unterschiedlichen Skizzen und Entwürfen den kreativen Weg, den sie zurückgelegt haben. Egal wie gut das Ergebnis auch ist, das am Ende auf dem gedruckten Magazin als Cover gedruckt wird: Die ersten Entwürfe sind stets etwas unbeholfen, ungenau und weniger gut. Ich finde das beruhigend, weil es zeigt, dass es keine Abkürzungen zur Kreativität gibt. Auch ein richtig gutes Cover beginnt mit einem mittelguten Entwurf. Auch andere müssen den langen Weg durch den Wald der Kreativität gehen.“
Dass dieser Weg auch wunderbar klingen kann, habe ich in der aktuellen Folge des Songexplorer-Podcast anhören können: Dort erzählt die Band Franz Ferdinand, wie ihr Hit „Take Me Out“ entstand. Das ist deshalb unbedingt hörenswert, weil in den ersten akustischen Skizzen deutlich durchschimmert wie der spätere Song mal klingen wird. Das weiß man aber nur, wenn man den Song kennt. Dieses Wissen hatte die Band beim Schreiben nicht, sie sah den Weg noch nicht, der sich mal durch den Wald bahnen sollte.
Selten habe ich das akustische Durchschimmern von Ideen und Ansätzen so klingend nachvollziehen können wie in diesem besonderen Interview mit Sänger und Gitarrist Alex Kapranos. Der Podcast ist nicht nur eine inspirierende Kreativitäts-Motivation, Kapranos erzählt auch mindestens zwischen den Zeilen die Geschichte von Kopie und Referenz, die ich im Lob der Kopie beschrieben habe.
Neben dem Podcast-Tipp habe ich aus der Take-Me-Out-Episode aber diese Lehre mitgenommen: Das Erzählen der eigenen Geschichte kann motivierend sein. Blicke zurück auf Ideen und deren Umsetzung (und deren Scheitern) und versuche im Rückblick den Weg zu erkennen, den du dir durch den Wald gebahnt hast (oder eben nicht). Das wird nicht immer so klingend gelingen wie bei Take Me Out, aber es ist in jedem Fall lehrreich!
Mehr zum Thema Kreativität, Kopie und Inspiration im Buch „Anleitung zum Unkreativsein„, zu dem ich im vergangenen Jahr auch ein besonderes Newsletter-Experiment gewagt habe.