Überhaupt sind Wut oder Hass nicht die vorherrschenden Gefühle. Eher Traurigkeit und Desillusion. Die Leute hängen richtig an dieser Zeitung. Und auf die Frage nach dem Schuldigen gibt es leider keine einfache Antwort.
Unter dem Titel Espresso und Schweinsbraten befasst sich die taz mit der Krise bei der Münchner Abendzeitung. Ein lesenswerter Bericht – allerdings nur teilweise wegen des Inhalts. Gerade die Form und die Sprache des Textes zeigen, wo die Zeitunslandschaft gelandet ist: Wer hätte gedacht, in der taz mal einen Text zu lesen, in dem unreflektiert und undistanziert mit Floskeln der Ratlosigkeit wie „Turnaround“, „Masterplan“ und „Synergien“ hantiert wird? Dabei fällt das Hauptproblem der Abendzeitung leider unter den Tisch: dass nämlich die bestehende Leserschaft und die gewünschte Leserschaft soweit von einander entfernt sind.
Die Leser der AZ sind auch Golden Agers. Grade hat man eine Leserbefragung gemacht. Ein Ergebnis: Service! Krankheiten, Kalorien, Geld-Service ist der Graeter des 21. Jahrhunderts. Womöglich.
Doch der Begriff „Service“ ist solange nutzlos, wie er nicht aus der Perspektive des Leser gedacht wird. Und der Bestandskunde lebt nunmal in einer anderen Welt als der gewünsche Leser einer „Metropolenzeitung“. Auf diese Segmentierung des Publikums geht der Text leider nicht ein. Stattdessen wird einmal mehr die Kir-Royal-verbrämte Vergangenheit bemüht. Dass dieses wundervollen Damals aber vor allem deshalb wundervoll war, weil es noch Prominenz gab, für die sich „alle“ interessierten, wird nur indirekt angedeutet:
Graeter hat just wieder einen Coup gelandet. Er vermeldete exklusiv die Trennung von Janine und Jack White. AZ-Zeile: „Jack White allein zu Haus“. Bild musste nachziehen, die anderen auch. Das ist gut. Das Problem ist: Wer kennt Jack White?
Der lange und wie gesagt lesenswerte Text zitiert eine verlegerische Vorgabe für erfolgreiche Zeitungen, die da lautet:
am Eingang zur Redaktion hängt ein Editorial von Anneliese Friedmann zum 60. Geburtstag der AZ vor anderthalb Jahren. Darin definiert sie, wie eine Zeitung im „Zeitalter der elektronischen Medien“ weiterhin erfolgreich sein könne. Wenn sie gebraucht würde, wenn sie den Lesern „Leitplanke“ und Interessenverteidiger sei und ihnen das Gefühl gäbe: „Hier bin ich daheim.“
Dieses Gefühl von Heimat abzubilden ist – unabhängig vom Fall der Abendzeitung – die große Herausforderung für Medien. Denn diese Heimat ist zwar räumlich abbildbar, sie verschiebt sich aber in Gedanken, Ansichten und Wertvorstellungen. Wenn es gelingt, diese zu bündeln, kann es gelingen, Leser zu binden und neue zu gewinnen. Dass die Abendzeitung das offenbar nicht ganz so katastrophal macht, zeigt eine kleine Info am Fuß des Textes: Die Auflage ist im ersten Quartal 2010 gestiegen (auch dank „sonstiger Verkäufe“).
1 Kommentar
Die Wertebenen von Zeitungsschreibern und (restpotenziellen) Zeitungslesern liegen längst auf verschiedenen Planeten. Das könnte auch ein Grund für das sachte Verdämmern Holzhausens sein. Ein Reporter kann sich physisch noch so weit ‚vor Ort‘ begeben, wenn er psychisch nicht auch ‚vor Ort‘ ist, wenn er also keine Empathie besitzt und seine angestammten Wertvorstellungen nicht aufzugeben vermag, dann kann er auch gleich im Redaktionsstübchen bleiben und seine geliebten Illusionen begießen.