Nach der zweiten großen Pause wird aus der kleinen Idee eine unbestreitbar große Sache; zumindest für mich. Ich stehe vor einer neunten Klasse meiner ehemaligen Schule im Ruhrgebiet und beginne gerade die dritte Runde einer Medienkompetenz-Schulung im Rahmen des Projekts #journalistenschule der DJS als einer der Schüler mich erwischt: „Ich glaube“, sagt er kurz nach der Begrüßung, „Sie waren mit meinem Vater in einer Klasse.“ Den Vormittag über habe ich mit drei weiteren neunten Klassen über verlässliche Quellen, den Pressekodex, Qualitätsjournalismus und das Projekt #gegendiepanik gesprochen. Dabei habe ich mich – trotz zahlreicher anderslautender Zeichen – beständig dagegen gewehrt, wehmütig zu werden.
Doch dann stehen plötzlich seine Worte im Raum und ich versuche in seinem Gesicht eine Ähnlichkeit zu finden, zu den Gesichtern, die ich sah als ich zum letzten Mal in dieser Schule war. Das ist fast 25 Jahre her – allein diese Zahl würde ausreichen, um mir mein Alter und die Vergänglichkeit der Welt sichtbar zu machen. Doch jetzt sitzt da ein freundlicher Neuntklässler und bündelt all das in seinem fröhlichen Grinsen. Eine neue Generation, Schülerinnen und Schüler, für die das Internet nicht neu, sondern selbstverständlich ist. Junge Menschen, die (womöglich) lösen werden, was vielen Älteren heute unlösbar erscheint. Wir vergessen das manchmal, weil wir einzig unsere Sozialisation zum Maßstab erheben (und dann wehmütig werden) statt hoffnungsvoll auf die Zukunft zu schauen – in dem Sinn, in dem Rebecca Solnit von der Zukunft spricht.
Ich höre, wie ich ein paar fröhliche Bemerkungen mache, in der Hoffnung, Zeit zu gewinnen – um vielleicht doch herauszufinden, welchem jungen Mann aus den 1990er Jahren dieser junge Mann aus der neunten Klasse 2018 ähnlich sieht. In meinem Kopf tauchen Bilder von Abifeiern und Klassenfahrten auf. Es wird gesungen und getrunken und ich sehe Mitschüler, in denen ich damals so wenig Familienväter erkannte wie die heutigen Neuntklässler in mir einen erkennen, der doch gerade noch selber auf diesen Stühlen hockte und sich fragte, wann er hier rauskommt.
Als er das Verwandtschaftsverhältnis auflöst, denke ich das erste Mal seit Jahren wieder an den Mitschüler. So wie ich in diesen sechs Stunden auf den Fluren, im Lehrerzimmer und auf dem Schulhof, das erste Mal seit Jahren wieder an meine Schulzeit denke. Dass ich das tue, liegt an Henriette Löwisch, der Schulleitern der Deutschen Journalistenschule (DJS). Als sie unlängst das Amt der Schulleiterin übernahm, brachte sie die Idee zum Projekt #journalistenschule auf. Absolvent*innen der DJS besuchen ihre alten Schulen und sprechen dort über ihren Beruf. Die meisten Kolleg*innen werden das am 3. Mai tun – dem Tag der Pressefreiheit. Sie werden dort tun, was ich (u.a. wegen #rp18-Terminproblemen) schon heute tat: Davon berichten, wie wichtig die freie Presse ist, Grundlagen des Berufs vorstellen und die Stimme erheben gegen Menschen, die Lügenpresse rufen und Fake-News verbreiten.
Wir haben dazu am Gymnasium Broich in Mülheim an der Ruhr ein WhatsApp-Spiel gespielt. Die Schüler*innen sollten mich ihrer Klassen-WhatsApp-Gruppe vorstellen – über biografische Details, die sie beurteilen mussten: Stimmt das oder stimmt es nicht? Und wie findet man heraus, ob Gerüchte wahr sind oder gefälscht? Wie findet man verlässliche Quellen?
Darauf aufbauend haben wir darüber gesprochen, dass im Netz auch die Frage immer wichtiger wird, welche Rolle wir als Nutzer einnehmen. Deshalb haben wir anschließend ausführlich über das Projekt #gegendiepanik gesprochen – in dem wir nach der Paniknacht vom OEZ in München Regeln formulierten, wie man sich gegen Social-Media-Panik wappnen kann. Zwischendurch haben wir ein Rap-Video angeschaut und über die verwirrenden Möglichkeiten der Bildbearbeitung gesprochen.
Das hat Spaß gemacht und hat nicht nur mein Bild auf „früher“ herausgefordert. Es hat mir vor allem gezeigt: Im Umgang mit dem, was wir manchmal „neue Medien“ nennen sind sich Schüler*innen und Schüler und die Generation ihrer Eltern ähnlicher als sie denken. Sie lernen gerade gemeinsam den richtigen Umgang (#smarterphone), das ist nicht immer einfach – aber alles andere als das Ende.
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