Morgen startet in der BILDblog-Rubrik bei „6 vor 9“ ein ungewöhnliches Experiment: BILDblog und die Deutsche Journalistenschule organisieren die Urlaubsvertretung von Ronnie Grob – Schüler der 50sten und 51sten Lehrredaktion der DJS werden in den nächsten Tagen täglich sechs besondere Links auswählen und im BILDblog und auf djs-online.de vorstellen.
Ich begleite das Projekt als Dozent und habe Ronnie Grob vorab ein paar Fragen zu der Rubrik und zum Phänomen des kuratierenden Journalismus gestellt:
Du wählst seit über 6 Jahren täglich sechs medienrelevante Links aus. Kannst überhaupt noch Texte einfach so lesen oder hast du ständig die 6vor9-Schere im Kopf?
Ich bin schon so daran gewöhnt, Texte auch auf ihre Verwertbarkeit zu prüfen, dass mir das beim Lesen fast nicht mehr auffällt.
Erzähl mal, wie das konkret geht: Du siehst einen Text und speicherst dir dann die URL in einen Read-it-later-Dienst?
Lange habe ich Delicious.com genutzt, um mir die einzelnen Storys zu speichern, doch als sich der Dienst von meinen Bedürfnissen entfernte, dauerte es keine drei Tage, bis ich mit allen Links zu Pinboard.in gewechselt bin – ein Dienst, den ich sehr empfehlen kann. Aktuell sind dort 17294 Links gespeichert, leider nicht öffentlich, sondern „private“.
Welche Dienste nutzt du, um den Überblick zu behalten?
Hauptsächlich lese ich RSS-Feeds im Google Reader, ich habe hunderte abonniert. Dazu öffne ich morgens traditionell einen Ordner mit etwa 30 Bookmarks. Da ist alles mögliche dabei: Medienseiten von Zeitungsportalen, Stichwortsuchen, YouTube-Abos, Rivva, etc. Und dann gibt es auch noch Newsletter und Google Alerts – erstere versuche ich zu meiden, letztere liefern kaum noch Brauchbares.
Wie wichtig sind Twitter und Facebook für deine Arbeit?
Sehr wichtig. Es ist zwar ermüdend, wenn immer und immer wieder die gleichen Links auftauchen, doch gerade abseitigere Links erhält man oft von klugen Menschen in der Timeline.
Und wie bedeutsam sind Empfehlungen von Lesern?
Noch viel wichtiger, denn anders als die üblichen Verdächtigen bei Twitter und Facebook haben Bildblog-Leser höchst unterschiedliche Medienkonsumgewohnheiten und liefern oft Links zu Medien, von denen ich noch nie etwas gehört habe.
Ich bin dankbar für jeden einzelnen Link, der meine Blase aufbricht und mir zeigt, dass es auch noch andere Meinungen, Geschichten, Probleme gibt als die im eigenen Umfeld. So auch mein Anspruch an „6 vor 9“. Die Umsetzung gelingt natürlich stets nur teilweise.
Wenn du die Links dann zusammengesucht hast: Wie gewichtest du?
Immer wieder anders, da gibt es kein klares Schema. Doch oft ist 1 der wichtigste Link und 6 der unwichtigste, dort landet manchmal auch Satire. Die Auswahl geschieht intuitiv, ideal ist ein Mix von Storys, die wichtig sind mit solchen, die sich gut lesen. Die besten Chancen haben medienkritische oder medienjournalistische Stücke, die relevant sind und unterhaltsam.
Ich habe den Eindruck, ein gewisses Muster bei den sechs Links zu erkennen: Es sind meist zwei ohnehin schon bekannte Stücke von sehr bekannten Autoren dabei, zwei ausländische (gerne auch aus der Schweiz), eine vorher ganz unbekannte Perle aus einem Spezialblog und ein lustiger Rausschmeißer. Ist das ein Muster, das Du tatsächlich bedienst oder bilde ich mir das ein?
Als Medienjournalist aus der Schweiz habe ich einen natürlichen Zugang zu Schweizer Storys, weshalb ich öfters welche verlinke – bisher hat sich noch nicht einmal jemand über einen Schweiz-Überhang beklagt, vermutlich aus purer Höflichkeit. Sollte die Rubrik zu viel Muster drin haben, bitte ich drum, mir das zu melden, denn „6 vor 9“ sollte schon eine Überraschungskiste bleiben. Doch wenn Blogger X oder Journalist Y Tag für Tag eine neue Hammerstory raushauen, dann muss man die eben auch verlinken. Ich werde doch keine schlechtere Story für eine bessere Story einwechseln, nur dass mal wieder eine neue Quelle da steht.
Eine besondere Herausforderung sind die kurzen Erklärtexte zu den Links. Du musst in wenigen Zeilen die Situation erklären, Zusammenhänge herstellen. Dabei schon mal in grobe Fallen getappt?
Das ist in der Tat recht heikel, und Bildblog ein Minenfeld mit vielen klugen Lesern, die nicht nur von Grammatik eine grosse Ahnung haben. Immerhin kriege ich nun nicht mehr jeden Tag E-Mails zur ß/ss-Problematik. Hat man alles richtig verstanden? Ist der Ausschnitt des Zitats sinnentstellend? Erklärt man ausführlich in fünf langweiligen Zeilen oder reicht eine knackige? Fehler habe ich schon einige gemacht, auf die ganz grosse Falle warte ich aber nach wie vor. Gerade bei noch unbekannten Medien ist man dazu gezwungen, dem Beitrag, den man gerne verlinken möchte, einen Vertrauensvorschuss entgegen zu bringen. Wenn ich um 8 Uhr eine Auswahl treffe, dann habe ich ja nur bedingt Zeit, die Plausibilität einer Geschichte zu prüfen. Sind die Zweifel zu gross, verzichte ich auch lieber mal auf eine Superstory. Um ganz sicher zu sein, müsste man ja vor jeder Verlinkung alles nachrecherchieren.
Hast du Vorbilder?
„6 vor 9“ wurde ohne konkretes Vorbild gegründet. Aber klar, es gibt viele grossartige Blogger und Journalisten, die ich mir auch gerne zum Vorbild nehme.
Welche?
Hm ja, es gibt so viele Vorbilder, die man sich nehmen kann, wenn man schreibt, angefangen von Honoré de Balzac über Niklaus Meienberg, Michèle Roten, Margrit Sprecher bis Stephan Herczeg, so dass jede Auswahl total willkürlich ist. Das naheliegendste im deutschsprachigen, medienjournalistischen Bereich ist natürlich Stefan Niggemeier, der macht seit sehr vielen Jahren sehr vieles richtig. Ob man das jetzt ins Interview aufnehmen soll? Ich weiss nicht recht… Wer wissen will, was ich aktuell lesenswert finde, liest am Besten „6 vor 9“ :)
Zum Abschluss ein Ratschlag für Deine Urlaubs-Vertreter?
Stets das Frische dem schon x-mal Gelesenen vorziehen. Und nur das schreiben, was zweifelsfrei ist, das ist nämlich schon gar nicht so einfach. Auch wenn die Uhr tickt und 8:54 Uhr schon vorbei ist.
Die BILDblog-DJS-Kooperation läuft bis 11. Januar. Wer sich mit Vorschlägen beteiligen möchte: einfach eine Mail an 6vor9@bildblog.de schicken!