Seit ich über die Idee spreche, Kultur als Software zu betrachten, höre ich eine Form der Kritik immer wieder: Es ist der Zweifel am Mehrwert, der durch die Teilnahme am Entstehungsprozess erlebbar wird. „Lohnt sich das denn?“ fragen die Kritiker immer wieder und weisen daraufhin, dass es ja gar nicht so spannend sei, mitzuverfolgen wie ein Buch oder wie gerade eben eine Buchkritik entstehe.
Die Antwort auf diese kritische Nachfrage bleibt Ansichtssache. Meine Annahme: Für manche mag es sich lohnen, die größere Nähe zu einem Produkt durch Teilnahme am Prozess zu erleben. Es gibt sicher auch Menschen, die diesen Aufwand nicht als lohnend anssehen, aber darum geht es nicht. Es geht um die Frage, ob es Leser gibt, die es wertschätzen, an einem Prozess teilnehmen zu können. Um die Frage also, ob in dem geschlossenen Raum der Teilhabe etwas entsteht, was interessant, wertvoll, spannend sein kann. Ich glaube daran und habe heute in einer Kritik des gerade abgeschlossenen Projekts Süddeutsche Zeitung Lesesalon einen Beleg dafür gefunden.
In der NZZ wird das Experiment beschrieben und bewertet und der von „ras.“ verfasste Text kommt zu diesem Schluss:
Die 100 Rezensenten hätten, so schreibt die «SZ», auf hohem Niveau und in stets sachlichem Ton debattiert. Von der Diskussionskultur und deren Dynamik bekommt der aussenstehende Leser jedoch wenig mit. Vom allfälligen Gefühl der Befriedigung durch das Mitmachen bleibt das grosse Publikum ausgeschlossen. Die Redaktion listet – in der Art von Klappentexten – ein paar Zitate aus Leserreaktionen auf. Kaum etwas erfährt man aber darüber, an welchen Passagen sich die Leser rieben, wo die Meinungen besonders auseinanderdrifteten. (…) Im Online- Salon der «SZ» zu diesem Buch fehlen wiederum die Lebendigkeit und die Unterhaltsamkeit einer Debatte am Radio oder im Fernsehen. Wie so oft bei Experimenten im Internet bleibt die Kluft zwischen technischen Möglichkeiten und effektivem Nutzen gross.
Auch wenn ich den letzten Satz nicht verstehe, freue ich mich über dieses Urteil: es belegt meine These, dass etwas fehlt wenn man NICHT dabei ist. Dem Experiment nun vorzuwerfen es habe keinen Nutzen wenn man nicht mitmacht, erscheint mir unlogisch. Das ist so als würde man nach einem Spiel vor einem Fußballstadion stehen und beklagen, dass die Stimmung sich dort (vor den Toren und nach Abpfiff) nur schwer vermittelt. Das Schöne an dieser Haltung: sie erkennt an, dass es IN dem Stadion etwas gab, was spannend, interessant und wertvoll war – und dabei liefert sie ein Argument gegen die eingangs zitierte Kritik an der Idee, nicht nur auf die Produkte kulturellen Schaffens zu blicken, sondern auch auf deren Entstehung.
Mehr über mein Buch „Eine neue Version ist verfügbar“ und über den Süddeutsche Zeitung Lesesalon, der die Idee, Kultur als Software zu verstehen in einem Experiment in die Tat umsetzte.