Das Netz verändert vieles – auch unsere Vorstellung von Wissen und Bildung. Der Autor Martin Lindner befasst sich schon länger mit dieser Veränderung und hat jetzt ein Crowdfunding-Projekt gestartet um sich dem Thema in einem Buch zu widmen. „Die Bildung und das Netz“ läuft aktuell auf Startnext. Ich habe das Buch dort bereits gekauft – und Martin den loading-Fragebogen geschickt.
Was machst Du?
Derzeit: Eine Kampagne mit dem Ziel ein lang vorbereitetes Buch zu schreiben, weil das Buch, das ich gern lesen will, niemand sonst schreibt (oder jedenfalls: publiziert). Das Buch soll im Zusammenhang zeigen, was das Netz mit der Bildung macht. Nicht nur in Schulen und Universitäten, sondern überall: in Unternehmen, bei den Abgehängten, bei all denen, die auf eigene Faust lernen, weil sie es wollen oder müssen. Was geht verloren gegenüber der untergegangenen Epoche des „Bildungsbürgertums“, wie es in den 1950er Jahren und dann nochmals Ende der 1970er Jahre sich neu konstituierte? Und was wird auf der anderen Seite gewonnen? Für wen, also nicht nur für Bildungsbürger? Und wo, also nicht nur auf welchen gesellschaftlichen Feldern
Warum machst Du es (so)?
Weil ich es auf die konventionelle Art nicht geschafft habe: Ich habe ein Exposé bei einer renommierten Literaturagentur untergebracht, und die hat versucht, es den großen deutschen Verlagen anzubieten. Zwei- oder dreimal wollten die zuständigen Lektoren es gern machen, aber der Verlagsleitung schien es jeweils zu riskant: kein richtig knackiges Debattenbuch, und mich kennt auch niemand. Sie wollten, dass ich eine große, konkrete Zielgruppe adressiere, ängstliche Eltern am besten. Diese Art von Sich-die-Welt-erklären-Buch, die mir vorschwebt, gibt es hier eigentlich fast nicht. Am ehesten im angelsächsischen Raum, wie etwa die sowohl „populären“ als auch seriösen Bücher von David Weinberger und Steven Johnson über das Internet und dessen Wirkung auf unsere Kultur.
Eigentlich war mir die ganze Zeit schon klar, dass Crowdfunding die konsequenteste Form sein würde, dieses Buch zu schreiben und zu produzieren, aber … naja, das Risiko ist viel höher, und ich mache das nicht aus einem abgesicherten Job heraus. Und ich dachte auch, dass die Botschaft am besten gehört würde, wenn ein großer Verlag das pusht. Aber jetzt ist es eben Crowdfunding geworden, passend zum Inhalt, und wahrscheinlich musste es eben so sein. Als Prozess ist es natürlich viel toller so, und ich hoffe, dass auch der Text davon profitieren wird.
Naja, und Bücher über Bildung … ich kann den vorauseilenden Überdruss durchaus nachvollziehen, da ist man Teil eines Chors von aufgeregten Büchern, in denen es immer 5 vor 12 ist, und Bildung wird fast immer aus sehr einseitiger Perspektive als Kampfbegriff benutzt. Ich will aber wissen, was wir wirklich meinen (oder meinen sollten), wenn wir von „Bildung“ reden. Was das wirklich ist, nicht, was es aus den verschiedenen ideologischen Perspektiven heraus sein soll. Ich denke, dass gerade die Verschiebung der Perspektive, also das jetzt aus dem neuen digitalen Raum heraus zu tun, auch im Rückblick sehr interessante Erkenntnisse über das zutage fördert, was wir in den letzten 100 Jahren unter „Bildung“ verstanden haben. Also seit mein Großvater, achter Sohn einer Oberpfälzer Bauernfamilie und später promovierter Lebensmittelchemiker, eingeschult wurde, vor dem Ersten Weltkrieg, in einer Zeit, in der es wahrlich „Disruption“ gab.
Wer soll das lesen?
Alle, die sich Gedanken über „Bildung“ machen und gern verstehen würden, was gerade mit uns passiert, in diesem Epochenumbruch, der geprägt ist von Digitalisierung, Big Data, Automatisierung, Kontrolle auf der einen Seite und auf der anderen Seite von den digitalen Netz-Medien als Mittel kulturellen Ausdrucks und individueller Emanzipation.
Eigentlich glaube ich, dass das Buch sehr viele Leute ansprechen könnte. Aber erstmal gehe ich aus von denen, die ich in den letzten 10 Jahren im sozialen Web kennengelernt habe: Da sind erstaunlich viele nachdenkliche Leute in recht unterschiedlichen Altersklassen und mit recht unterschiedlichen Hintergründen. Sie sind schwer als eine klare Zielgruppe eingrenzbar und adressierbar, das ist schlecht, wenn man es Verlags-Marketingstrategen verkaufen will. Gut, das sind jetzt vielleicht 500 oder so in meinem Umfeld, aber ich vermute, dass sie nur die Spitze des Eisbergs sind. Im Netz werden dummen Marketing-Generalisierung ja überhaupt sehr schnell ad absurdum geführt. Da wird ein Chor von lauter recht eigenwilligen und oft auch verschrobenen Stimmen hörbar, den man früher nie hätte wahrnehmen können. (Obwohl es diese Leute genauso gab, glaube ich.)
Wie geht es weiter?
Mein Crowdfunding ist jetzt gerade eine Woche alt, und der Start war ermutigend. Es sind bis jetzt etwa 4000 Euro zusammen gekommen, zu gut zwei Dritteln aus Buchverkäufen im Voraus (also Subskription), vielleicht zu einem knappen Drittel aus direkter Unterstützung des Schreibprozesses, ohne dafür direkt etwas zu bekommen. Ich hoffe, ich schaffe meine Zielmarke (8000 Euro), dann kann ich anfangen zu schreiben. Tatsächlich brauche ich aber eigentlich mehr, um wirklich konzentriert sechs Monate am Stück schreiben zu können: mindestens 9000 Euro nach Abzug der Unkosten würde ich schätzen, das sind eher so etwas wie 12 000 Euro Funding-Summe. Wie es genau weitergeht, kann ich also noch nicht sagen. Ich hoffe, ich kann das Buch schreiben, möglichst gut und mit Zeit für Gespräche und Recherchen, und ich kann dann den Unterstützern auch ein vorzeigbares Produkt übergeben: als eBook, aber eben auch als Hardcover-Papierbuch, mit Umschlag. (Das bestellen die meisten.)
Was sollten mehr Leute wissen?
Dass wir mitten in einem großen Umbruch stehen, der gleichzeitig großartig und bedrohlich ist. Wir alle müssen uns darauf einstellen, uns vorbereiten, uns bilden. Für mich ist das genauso: Eine prekäre Situation, in der man sich andauernd durchschlagen und hochrappeln muss. Und zugleich ein faszinierender Aufbruch, eine schlagartige Erweiterung des Horizonts, eine starke untergründige Dynamik. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich so etwas erleben werde, nach all den Jahrzehnten des Stillstands, die bis um das Jahr 2000 mein ganzes erwachsenes Leben ausgemacht haben. (Ich war in den 1980er und 1990er Jahren an der Universität, als Student, Dozent und am Ende als habilitierter Literaturwissenschaftler, und es fühlte sich immer mehr wie eine anachronistische Sackgasse an.)
>>> Hier Martin Lindners Projekt auf Startnext unterstützen
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Unter dem Schlagwort loading stelle ich in loser Folge handgemachte bzw. Crowdfunding-Projekte vor, die spannend sind und/oder für eine neue Bezahlkultur stehen. Das mache ich (auch), weil mein aktuelles Buch ebenfalls über Crowdfunding verfügbar gemacht wurde. Man kann den loading-Ideen im Blog folgen (hier den RSS-Feed zum Schlagwort „loading“ in den Reader nehmen) oder einen Newsletter mit den Vorschlägen abonnieren:
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