Der Journalismus ist kaputt. Dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man die Kampagnen von Wikitribune und Republik anschaut, die beide dieser Tage gestartet sind.
Zwei respektable und empfehlenswerte Initiativen – keine Frage. Der Shruggie in mir schulterzuckt jedoch bei der Behauptung, die beide Kampagnen nutzen, um Aufmerksamkeit (und damit Geld) für ihre Projekte zu sammeln. Der Journalismus ist kaputt – ist eine zumindest diskutable Übertreibung. Ich glaube, es ist nicht falsch schulterzuckend zu bemerken: Wer eine Sache schlechter darstellt als sie womöglich ist, um damit seine eigene Lösung zu präsentieren, verfährt nach einem durchaus bekannten Muster: Make Journalismus Great Again.
In Deutschland wurde dieses Muster bereits beim Start der ebenfalls hoch empfehlenswerten Krautreporter diskutiert. Der Onlinejournalismus sei, hieß es damals, kaputt. Es folgte das Versprechen, die Krautreporter würden ihn reparieren. Bei allem Respekt vor dem Werk der Krautreporter: Republik und Wikitribune sind offenbar nicht einverstanden mit dem Reparaturversuch.
Man kann übrigens auch für die Unterstützung herausragenden Journalismus‘ werben, ohne das Kaputt-Narrativ zu bedienen. Der Guardian macht es hier vor
7 Kommentare
Lieber Dirk, ich habe den Eindruck, dass viele Kollegen unsere Satz von 2014 absichtsvoll missverstehen, weil er sie gekränkt hat. Dabei weiß doch jeder Journalist: Die Werbefinanzierung macht den Online-Journalismus tatsächlich kaputt. Es geht um die Zahl der Klicks, nur so verdient man damit Geld. Der Journalismus wäre besser, wenn dieser Mechanismus nicht da wäre. Können wir uns auf diese Diagnose einigen? Und die Werbefinanzierung wirft noch nichtmal genug Geld ab, um in Zukunft unter gescheiten Bedingungen weiterarbeiten zu können.
Ich liebe die Süddeutsche Zeitung, ich lese sie jeden Tag. Ich freue mich, dass ich seit einiger Zeit, wie für die meisten großen Zeitungen inzwischen, auch ein SZ-Online-Abo kaufen kann. Als Krautreporter diesen deutlichen Satz formuliert hat, gab es das alles noch nicht. Ich bin nicht so größenwahnsinnig zu behaupten, der Schwenk in Richtung Abo-Finanzierung und damit in hin zu den Bedürfnissen der Nutzer hätte vor allem mit KR zu tun. Aber es ist ein Teil der Lösung für das Problem, dass werbefinanzierter Online-Journalismus weiterhin kaputt ist.
PS: Ev Williams benutz ähnliche Formulierungen: „Upon further reflection, it’s clear that the *broken system is ad-driven media on the internet*. It simply doesn’t serve people. In fact, it’s not designed to. The vast majority of articles, videos, and other “content” we all consume on a daily basis is paid for — directly or indirectly — by corporations who are funding it in order to advance their goals. And it is measured, amplified, and rewarded based on its ability to do that. Period. As a result, we get…well, what we get. And it’s getting worse.“
https://blog.medium.com/renewing-mediums-focus-98f374a960be
Lieber Sebastian,
man muss meiner Meinung nach zwei Punkte unterscheiden:
a) den „make great again“-Werbeeffekt
und
b) die inhaltliche Frage, ob Abo als alleinige Einnahmequelle für aufwändigen Journalismus ausreicht.
Zu a)
Ich finde interessant, dass die beiden zitierten Kampagnen zur Aufmerksamkeits-Generierung auf den gleichen Mechanismus zurückgreifen, den die Trump-Kampagne bedient hat: Man redet etwas schlecht, um sich selber als Lösung zu präsentieren.
Zu b)
Was genau ist eigentlich kaputt? Ist es der Journalismus? Oder ist es seine bisheriger Form der Werbefinanzierung? Wenn ich dich richtig verstehe, hältst Du die Form der Anzeigenvermarktung für das Problem. Wenn das so ist, ist die logische Frage doch: Wie löst man das Problem? Indem man sich gänzlich von Anzeigevermarktung verabschiedet?
Ich habe da meine Zweifel und beobachte auf Seiten wie vox.com sehr innovative Ansätze Werbung besser zu machen. Auf Seiten, die rein auf Leserfinanzierung setzen, sehe ich diese Ansätze nicht.
Besten Gruß
Dirk
Ja natürlich, die Werbefinanzierung ist das zentrale Problem, das war ja immer das zentrale Argument von KR, so steht es ja auch in dem „Kaputt“-Text von damals. 1. Weil sie Anreize für den falsche Journalismus schafft. und 2.: Die User trauen Medien nicht mehr, weil die Grenzen zwischen Journalismus und sonstigem Content, den jeder von uns plus unzählige Communitys, Unternehmen, Institutionen, Bots täglich produzieren, immer mehr verschwimmen. Native Advertising, Branded Content etc. sind nicht „innovative Formen der Werbung“, sondern Euphemismen für Schleichwerbung. Weite Teile der User können sie nicht von unabhängigen journalistischen Inhalten unterscheiden. Um dieses Vertrauen zurückzugewinnen oder zu erhalten, müssen die Grenzen scharf gezogen werden. Stattdessen verschwimmen sie immer stärker.
Liebe Sebastian,
sehe ich genau anders. Die Behauptung „Native Advertising“ sei nur ein anderes Wort für „Schleichwerbung“ klingt irgendwie schlau, ich sehe aber überhaupt keine überprüfbaren Belege dafür. Die Erhebungen, die ich zu dem Thema kenne, sagen das Gegenteil: Die klare Kennzeichnung dieser neuen Werbeformen sei besser und verständlicher als in „klassischen“ Fällen. Wenn ich im Instagram-Stream vom New Yorker „PAID“ in einem Beitrag sehe, dann verstehe ich, was das bedeutet – und dann ist der Vorwurf das sei „Schleichwerbung“ schlicht falsch. Denn Schleichwerbung zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie nicht gekennzeichnet ist.
Ich bin davon überzeugt, dass wir eine Transformation dessen erleben, was Werbung bisher war – und daran werden auch Medien mitarbeiten. Denn sich einzig auf den zahlenden Leser zu konzentrieren, greift meiner Einschätzung nach zu kurz. Und spätestens wenn auch Institutionen und Marken z.B. anfangen, im Crowdfunding Projekte zu unterstützen, wird man sehen, welche Potenziale hier liegen.
Besten Gruß
Dirk
Lieber Dirk,
es gibt viele Belege dafür, dass „Native Advertising“ Schleichwerbung ist. Weite Teile der User verstehen nicht, dass es sich um gekaufte Inhalte handelt. Du zählst nicht, Du bist Profi.
Diese Studie zum Beispiel ist fünf Tage alt, es gibt viele mehr: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm. Darin steht: Nur 37% der Nutzer erkannten „Native Advertising“, 81% erkannten „reguläre“ Werbung. Fazit: „Our findings indicate that native advertising involves a significant risk of deception.“
Deception – Betrug. Ich finde es tragisch, wie die Verlagsbranche sich auf Panels und Konferenzen gegenseitig versichert, es handele sich um etwas anderes, und damit der Glaubwürdigkeit des Journalismus die Grundlage entzieht, gleichzeitig Vertrauensverlust beklagt und „Fake News“ als etwas diskutiert, das irgendwo in Montenegro produziert wird.
Zumindest wir Journalisten sollten da nicht mitmachen und einfach die Wahrheit aussprechen. Wir müssen etwas Grundsätzliches anders machen, um Vertrauen zurückzugewinnen. Make Journalismus great again ist dafür kein schlechter Claim.
Lieber Sebastian,
sorry, ich war ein paar Tage offline. Deshalb erst jetzt meine Antwort, die aus einer Frage besteht: Wann sprechen wir von „Schleichwerbung“? Ich dachte, es gilt die Definition aus dem Rundfunkstaatsvertrag, in der es vor allem um die fehlende Kennzeichnung geht.
Besten Gruß
Dirk