Vergangene Woche durfte ich im Rahmen der Sommerakademie des Evangelischen Studienwerks eine Woche lang über Memes reden. Das lief etwas anders als geplant. Deshalb und weil man ein Blog ja auch als eigene Erinnerungsstütze (früher mal: Tagebuch) nutzen kann, hier fünf Dinge, die ich im Rahmen dieses Seminars gelernt habe. Illustriert wird dieser Beitrag von einem Meta-Meme-Bild, das wir am Ende des Seminars fotografierten und das von einer Teilnehmerin in dieses doppelt referenzierte Meme-Bild überführt wurde: ich bin darauf zu sehen, wie ich das Pepe Silvia Meme aus der Serie „It’s always Sunny in Philadelphia“ nachstelle – eingebettet in die Vorlage des distracted boyfriends Memes. Hinter mir ist das Bord zu sehen, das erstellt wurde um den anderen Gruppen der Sommerakademie die Ergebnisse des Seminars (interner Name F2)s zu präsentieren.
1. Memes zeigen uns einen (medialen) Generationenkonflikt
Was sind überhaupt Memes? Wo früher der Diskurs von der (akademischen) Auseinandersetzung über Dawkins Ursprungsthese bestimmt war (verbreiten Meme sich ohne unser Zutun?), scheint die Generation der Meme-Nutzer:innen schon deutlich weiter: Meme sind die lustigen Internetbilder, mit deren Hilfe man Kritik, Teilhabe und Zugehörigkeit ausdrücken kann. Abstraktere Definitionen wie jene von Limor Shifmann wurden als zu abstrakt erst mal abgelehnt. Zumindest zu Beginn überwog die Begeisterung für die konkrete Nutzung (und Erstellung von Memes). Anders als in anderen Generationen, in denen ich häufig zunächst die Grundlagen für memetische Muster legen muss, ging es hier direkt in die Vollen:
2. Mediale Praxis schlägt abstrakten Zugang
Wir gründeten eine Signal-Gruppe, in der im Laufe des Seminars gut 300 Memes gepostet wurden; auch während der Seminarzeiten, was zu erstaunlichen Ergebnissen führte: die Teilnehmer:innen kommentierten quasi live das Geschehen im Seminar. Das entspricht sicher nicht dem pädagogischem Lehrbuch, führte aber zu erstaunlicher Dynamik und zu einem anderen Zugang zum Erfolg der Veranstaltung. Denn es gab fortan und durchgängig eine zweite Ebene in bzw. zu diesem Seminar. Das klingt nicht nur anstrengend, ist es auch. Es ist aber gleichzeitig die Voraussetzung für die Fähigkeit, die man als Meme-Literacy oder Meme-Kompetenz beschreiben kann: Ich muss mich selbst reflektieren können. Am besten gelingt dies, wenn man auch über sich selbst lachen kann.
3. Ohne humorvolle Selbst-Reflektion keine Meme-Kompetenz
Die Signal-Gruppe war also relativ schnell (auch) voller Anspielungen auf mich und meine Rolle als Dozent (inklusive dem Scheitern meines ursprünglichen Seminarplans). Was von außen und früher wirken konnten wie der Verlust von Autorität, bildete in Wahrheit die Grundlage für Vertrauen und eine bemerkenswerte Form der Zusammenarbeit: da auf humorvolle Weise und nahezu kontinuierlich das Seminar, die Leitung und der Ablauf kommentiert wurde, entstand ein Vertrauensverhältnis, das ich selten in Lehrveranstaltungen erlebt habe. Das alles gelang aber nur, weil ich nicht abstrakt über Offenheit und Reflektion sprach, sondern gemeinsam mit den Teilnehmer:innen über mich und meine Rolle lachte (kleiner Deepdive zum Fellow-Kids-Meme inklusive)
4. Meme bilden Rollen und Identitäten
Nur deshalb war die memetische Kommentierung überhaupt möglich: weil sich Rollen und wenn man so will Identitäten (im Kontext des Seminars) herausbildeten – die Grundlage für Memes auch außerhalb der Sommeruni. Sie bauen auf Klischees, Erwartungen und bestimmten Identitäten auf und bestärken diese. Der Vergleich mit der absichtsvollen falschen Aussprache einer Avocado ist hier ebenso bereits erwähnt worden wie die Distinktion über Dialekte, die auch für Memes nach dem Schibboleth-Prinzip gilt. Statt dies wie ursprünglich geplant, auf der abstrakten Ebene zu analysieren, sprangen wir in dem Seminar ins Wasser und sprachen nicht nur übers Schwimmen, sondern probierten sogar unterschiedliche Schwimmstile aus (dass wir so quasi nebenbei eine Fortbildung im metaphorischen Sprechen schafften, war ein angenehmer Nebeneffekt).
5. Machen ist wie Analysieren – nur krasser
Die Mediennutzung und -benutzung der Teilnehmer:innen in dem Seminar (die allesamt in der Vorstellung sagten, bisher nicht sooo viel mit Memes und Social-Media zu tun gehabt zu haben) war erstaunlich. Und ich musste lernen, dass deshalb die abstrakte Analyse weniger zielführend sein würde als die konkrete Anwendung. Das war ein erstaunlicher Lernprozess. Denn ich musste dafür einsehen, dass es sinnvoll sein kann, während des Seminars nicht nur ,am Handy‘ zu sein, sondern es auch aktiv einzusetzen. Ich musste meinen ursprünglichen Plan loslassen und auch meine eigene Rolle vor bzw. in der Gruppe reflektieren. Das hat sich aber absolut gelohnt, weil wir am Ende sogar ganz konkret ins Machen kamen – und den ideologischen Turing-Test vor der Seminaröffentlichkeit durchspielten. Das war erkenntnisreich und vermutlich nachhaltiger als wenn wir nur drüber gesprochen hätten.
Ich schreibe das alles auf, weil ich mich bei den Teilnehmer:innen des Seminars bedanken will (der Dank gilt auch Berit Glanz und Christoph Bieber, die als Expert:innen zugeschaltet waren) – und weil ich es als Erinnerung benutzen werden, wenn ich das nächste Mal übers Memes und ihre Folgen für öffentliche Diskurse sprechen werde. Denn das ist mir in diesen Tage besonders deutlich geworden: Wir müssen viel mehr über Memes sprechen. Sie sind implizierter Bestandteil der medialen Öffentlichkeit, es gibt aber selten Räume, um sie zu reflektieren oder einzuordnen. Deshalb hier ein paar weiterführende Lektüre-Tipps und die Einladung: Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie über Memes sprechen wollen!
Mehr über Meme
In dem Buch „Meme – Muster digitaler Kommunikation“ habe ich eine kleine grundlegende Einführung in das Thema versucht. Im Rahmen des Essays „Die Glut-Theorie der öffentlichen Debatte“ im Deutschlandfunk habe ich diese Grundlagen auf memetische Muster der politischen Auseinandersetzung übertragen. Für die Sprechstunde-Kolumne des Goethe-Instituts habe ich in sechs Folgen versucht, Schlüsse daraus für unsere Sprache und die memetische Grammatik zu ziehen. Und in der regelmäßigen Rubrik „Netzkulturcharts“ meines monatlichen Newsletters versuche ich den Überblick über aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet nicht zu verlieren.