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Dieser Text ist Teil der August-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann!
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Die Waffe, mit der ein 22jähriger Marokkaner den Terror nach Barcelona brachte, war ein weißer Lieferwagen von Fiat. Er steuerte ihn am späten Nachmittag des 17. August über La Rambla und tötete und verletzte unzählige Menschen.
Ein schrecklicher Anschlag, der einen Mechanismus in Gang setzte, den man als zweite Waffe der Attentäter beschreiben könnte: die Prinzipien der weltweiten Aufmerksamkeit sorgten dafür, dass das Signal, das die Terroristen senden wollten, in Eilmeldungs-Geschwindigkeit in die Welt getragen wurde – illustriert von verwackelten Handybildern, die Menschen in Panik zeigen, Krankenwagen, die durchs Bild rasen und Opfern, die auf dem Boden liegen.
„Und wieder steckt die Berichterstattung der Massenmedien in einer Schleife fest – und spielt diese Bilder wieder und wieder auf unsere Bildschirme“, beschreibt Zeynep Tufeki die mediale Eskalation von Angst und Schrecken durch den internationalen Terrorismus. Dieser verfolgt eine Medienstrategie, die „genau darauf abzielt, diese Art der Berichterstattung zu erzeugen“, schrieb die Soziologin nach dem Anschlag von Manchester im Mai – und zeigte dabei ein Dilemma auf, über das wir – als freie Gesellschaft, der die Anschläge gelten – dringend weiter nachdenken sollten: „Wir spielen ihnen in die Karten, und sie bestimmen die Regeln.“
Wenn man sich der Frage widmet, wie man dem Terror angemessen begegnet, wird vor allem über mehr Polizei und ausgebaute Kompetenz der Sicherheitsbehörden gesprochen. Eingriffe in Grundrechte stehen zur Debatte, um in der Vereitelung von Terrorplänen erfolgreicher zu sein. Was aber wäre, wenn man an anderer Stelle ansetzt und die die Medienstrategie der Terroristen zerstört? (Testbild-Foto von Unplash)
Wie bei jeder Veränderung kann man auch diese Frage schon im Keim als naiv ersticken. Man kann sich aber auch die Mühe machen und nachfragen, was eigentlich wäre, wenn die westlichen Gesellschaften, deren Grundrechte und Ideen vom Terror angegriffen werden, sich auf ihre Fähigkeit zum Pluralismus und demokratischen Austausch besinnen und darüber diskutieren, wie sie einen Ausweg aus der (medialen) Spirale von Angst und Schrecken finden: Könnte man den Mechanismus der Eskalation nicht durchbrechen, indem man weniger und anders über den Terror berichtet?
Es ist das eine, die eigene Social-Media-Nutzung in Eilmeldungslagen Gegen die Panik auszurichten. Das ändere wäre, auch die mediale Berichterstattung zu überdenken: Muss jeder Attentäter die Prominenz der Seite eins erhalten? Muss das Programm unterbrochen werden, um in Sondersendungen zu berichten? Braucht es die Dauerschleife der oben beschriebenen Bilder?
Anders formulieren: Kann man einen Weg der Berichterstattung finden, der das Interesse der Öffentlichkeit bedient und den Opfern gerecht wird, ohne den Terroristen mit der Art und Intensität der Berichterstattung weiter in die Karten zu spielen?
Dieser Ansatz stellt nicht die Freiheit der Presse in Frage. Er zielt vielmehr auf die Grundfragen publizistischer Ethik in einem Zeitalter, in dem sich die Prinzipien von Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit verschoben haben. Wenn alle alles veröffentlichen können, braucht es Mittel und Wege, gerade im Nicht-Beachten und Nicht-Verbreiten seine Haltung auszudrücken. Von Christian Stöcker stammt der Begriff Ignorestorm, der den Versuch unternimmt, einer bewussten öffentlichen Provokation nicht auch noch dadurch zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, dass man sie thematisiert. Im Ursprung ging es dabei um Werbeformen, die absichtlich sexistisch oder rassistisch sind, um so auch die Aufmerksamkeit der Empörung und des Widerspruchs auf sich zu ziehen. Ich glaube, dass verantwortungsvolle Medien (und auch Menschen) genau hier vor einer zentralen Herausforderung im digitalen Zeitalter stehen – im Umgang mit Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Die zweite zentrale Herausforderung in diesem Zusammenspiel ergibt sich übrigens aus der Frage, wie man Relevanz abseits von Reichweite messbar machen kann.
Zu sagen, dass das alles keine Rolle spielt, weil irgendwer die Bilder ja doch zeigen wird, ist übrigens die Kapitulation vor jeglicher Verantwortung – und kommt nicht in Frage. Verantwortung zu übernehmen, heißt hier vielmehr z.B. über eine Selbstverpflichtung der Medien nachzudenken, wie wir sie zum Beispiel aus der Berichterstattung über Suizide kennen. Um Nachahmungen (den so genannten Werther-Effekt) zu vermeiden rät eine Richtlinie des deutschen Presserats zur Zurückhaltung in der „Berichterstattung über Selbsttötung“. Und im Schweizer Presserat betont die entsprechende Leitlinie sogar, die Folgen der Berichterstattung zu bedenken: „Die Frage der Medienwirkung ist bei Entscheid über die Publikation oder die Ausstrahlung eines Berichts über einen Suizidfall mit zu berücksichtigen.“
Warum sollte es eigentlich unmöglich sein, über eine vergleichbare Selbstverpflichtung gegen den Terror nachzudenken? („Die Frage der Medienwirkung ist zu berücksichtigen“) Klar, ich kenne die Bandbreite der Argumente, die von der berechtigten Befürchtung um Pressefreiheit bis zur Sorge ums blanke Geschäft reichen. Ich kenne aber auch das mal George Orwell und mal Lord Northcliffe zugeschriebene Zitat, nachdem Journalismus (oder Nachrichten) nur das ist, „was jemand irgendwo nicht veröffentlicht haben will. Alles andere ist Reklame bzw. Propaganda.“ Mit diesem Gedanken lohnt es sich erneut, den Text von Zeynep Tufeki zu lesen.
Nein, ich habe keine einfache Antwort auf die Fragen, die sich hier stellen. Aber noch viel weniger habe ich Lust, tatenlos mitanzusehen, wie Terroristen nicht nur einen Lieferwagen, sondern vor allem die Mechanismen der westlichen Medien für ihre Zwecke missbrauchen.
Es muss möglich sein, sich vor allem gegen den zweiten Teil entschieden zu wehren. Schließlich gelingt es, z.B. den europäischen Broadcastern einmal im Jahr, eine Veranstaltung wie den Europäischen Gesangswettbewerb zu organisieren. Könnte man sich nicht genau auf dieser Ebene zusammensetzen und eine Selbstverpflichtung diskutieren, die einige Regeln für Art und Intensität der Berichterstattung über den Terror festlegt – öffentlich diskutiert und zeitlich begrenzt. Ich weiß nicht, wie diese Regeln im Detail aussehen könnten, nehme aber an, dass man sich darauf einigen könnte, keine Bilder von den Attentätern zu zeigen und grundsätzlich auf heroisierende Berichterstattung zu verzichten. Wie weit die Selbstverpflichtung darüber hinaus gehen kann, muss öffentlich ausgehandelt werden. Und anschließend sollten die Ergebnisse als Medien-Manifest gegen den Terror veröffentlicht werden – mit Ablaufdatum, zu dem erneut verhandelt wird. Organisationen wie der Presserat sollten einbezogen werden, um auch die Diskussion in die Welt zu tragen – als Zeichen der pluralistisch geführten Debatte in einer wehrhaften Demokratie!
Ebenfalls zum Thema: Die Seite Gegen die Panik! und der zugehörige Hashtag #gegendiepanik
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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem man mir beim Denken zusehen kann.
In diesem Newsletter sind z.B. erschienen: „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Was Medien vom Laufen lernen können“ (Mai 2017), „Fairer Teilen“ (März 2017) „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017), „Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein“ (Oktober 2016), „Ein Dutzend Ideen für die Journalistenausbildung“ (September 2016) „Kulturpragmatismus“ (Juni 2016), „Denke kleiner“ (Februar 2016 ) „Social-Media-Gelassenheit“ (Januar 2016).
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2 Kommentare
So eine Selbstverpflichtung ist mit Sicherheit EINE Antwort auf die mediale Schreckensspirale. Also hilfreich. Damit kann man auch ziemlich weit kommen, wie das genannte Beispiel der Suizid-Berichterstattung über Jahre gelehrt hat.
Was darüber hinaus aber den Umgang mit öffentlicher Eskalation (und ich würde, ohne Gleichsetzung, Provokationen, wie die der AfD oder Erdogans mit einbeziehen) so schwer macht: Es gibt leider Mechanismen, die sich nicht derart „beherrschen“ lassen:
1. Das Netz mit seinen unbereichenbaren Kern-Eigenschaften Vervielfältigung und Beschleunigung.
2. Das Publikum in seiner Eigenart, aus dem Informationsangebot das Seine zu machen.
Nichts in der Kommunikation ist eine Einbahnstraße, auch Verantwortung nicht. Dies traf übrigens auch schon auf die alten Massenmedien zu, wo unidirektionale Wirkungsmodelle das Entstehen „öffentlicher“ oder privater Meinung niemals hinreichend erklärt haben.
Gerade weil der große Gesamtlösung so wenig realistisch sind, finde ich aber erste kleine Schritte wie eine Selbstverpflichtung der (Mainstream-?) Medien sehr gut. Schon der diskursive Prozess bis dorthin wäre höchst wertvoll.
Ich bin ganz Ihrer Meinung. Schritt für Schritt ist besonders wichtig. Aber auch die Idee, dass Massenmedien in Funk und Fernsehen dieses Prinzip der kontrollierten, „gedämpften“ Berichterstattung folgen, könnte von Nutzen sein. Stellen Sie sich doch mal die Anzahl von Personen, die nicht Twitter, Instagram oder Facebook nutzen, aber wohl fern sehen.
Es wäre eine Idee, die es immer Wert sei durch zu denken.