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Der Shruggie des Monats ist eine von meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ inspirierte Rubrik meines monatlichen Newsletters (den man hier kostenlos bestellen kann). Darin beschreibe ich Personen, Ideen und Begebenheiten, die mir besonders passend zur Hauptfigur aus dem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ erscheinen – dem ¯\_(ツ)_/¯.
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Umsonstkultur. Wann immer über Geschäftsmodelle im digitalen Raum gesprochen wird, taucht das Wort auf: Die Umsonstkultur des Internet wird dann stets als Problem beschrieben. Sie sei Geburtsfehler und auf jeden Fall schuld an den aktuellen Herausforderungen, die das Internet uns bringt. Mir ist aufgefallen, dass ich schon 2009 hier im Blog über den Mythos vom Geburtsfehler geschrieben habe. Und schon damals wollte ich dem Wort Umsonstkultur nicht glauben.
Dieser Tage habe ich ein Zitat gelesen, das vor dem Hintergrund der Umsonstkultur eine besondere Kraft entwickelt: „Die Annahme, nur weil der Guardian seine Inhalte kostenfrei in Netz stellt, könne man die Leserschaft nicht von dem Wert überzeugen, für den sie auch bereits sind zu bezahlen, hat sich als falsch erwiesen.“
Das Zitat stammt von Anna Bateson, sie ist beim Guardian für das zuständig ist, was Menschen, die das Wort Umsonstkultur mögen, Paid Content nennen würden. Beim Guardian wäre der passende Job-Titel eigentlich „Chief Supporter Officer“ gewesen, erzählt sie in diesem Interview. Da das aber merkwürdig klingt, wählte man den Titel „Chief Customer Officer“ als die Stelle 2017 für sie geschaffen wurde. Bateson war vorher bei Google beschäftigt – als „Director of Global Consumer Marketing“ bei der Videoplattform YouTube.
Und als sie zum Guardian wechselte, schaute sie sich an, wie Wohltätigkeitsorganisationen und politische Bewegungen organisiert sind. Denn für Bateson geht es nicht in erster Linie darum, Inhalte eines Medienhauses zu verkaufen. Sie bittet vielmehr um Unterstützung für eine globale Bewegung. So beschreibt sie ihren Job, der sich auf die Kunst des Bittens stützt, die Amanda Palmer schon 2013 beschrieben hat (wobei Art of Asking natürlich besser und vielschichtiger klingt). In jedem Fall liegt genau in diesem Unterschied zwischen Abo und Mitgliedschaft ein Grund dafür, warum Menschen (wie z.B. auch ich) den Guardian finanziell unterstützen – und zwar nicht obwohl er seine Inhalte frei ins Netz stellt, sondern gerade weil er das tut.
This is the thing lots of people miss. Many people who donate in a membership model do so *because* they want to keep the content free for others
— Mathew Ingram (@mathewi) 19. Oktober 2018
Das klingt zunächst unlogisch, begründet sich aber auf der Besonderheit des Digitalen und ist aus beiden Gründen die perfekte Situation für den Shruggie des Monats ¯\_(ツ)_/¯
Inhalte können im Netz identisch dupliziert werden, sie zu teilen ist eine Grundidee des Web (Man kann nicht nicht kopieren). Der Guardian hat darauf reagiert und einen Weg eingeschlagen, auf dessen Straßenschild im Englischen Donation steht. Es einzig mit Spende zu übersetzen, würde aber zu kurz greifen. Es geht vielmehr um eine Mitgliedschaft, die sich auf mehr begründet als auf den Zugang zum Inhalt. Es geht um Teilhabe und um die persönliche Antwort auf die Frage: Auf welcher Seite stehst du?
Vermutlich lässt sich darin am besten der Unterschied zwischen einem Abo- und einem Mitgliedschaftsmodell fassen. Dazu twitterte diese Woche Rob Wjinberg, Gründer der niederländischen Plattform The Correspondent, einige spannende Gedanken:
Let’s be clear on what we see as the core difference between subscription and membership. Subscribers pay money to get a product (i.e. access to a site). Members join your (journalistic) cause. How do you get people to “join a journalistic cause”? Well, a good start is: hire journalists who are deeply engaged with and care about their subject of expertise. And then: allow them to *express* their deeply felt convictions in all kinds of ways. (…) we ask our correspondents to write *a mission statement*. That’s right. We have them write down why they are so passionate about their subject matter, how they hope to inspire you to care too, and what they hope to find out once they start their research.
Ein journalistisches Mission Statement!? Wer hat so etwas? Wer hat (für sich oder andere) aufgeschrieben, warum sie sich für dieses oder jenes Thema begeistern? Wie sie die Leserschaft inspirieren und dafür gewinnen wollen, sich auch für das Thema zu interessieren? Und was sie hoffen herauszufinden, wenn sie sich diesem Thema widmen? Die Antworten bilden den Kern dessen, was Wjinberg „your journalistic cause“ nennt. Beim Guardian haben wir auf ganz großer Bühne gesehen, was dies im Fall Snowden bedeuten kann, De Correspondent beweist, dass es auch auf kleinerer Bühne funktionieren kann.
Ich habe hier im Blog immer wieder auf diese andere Perspektive auf das Thema Leserfinanzierung hingewiesen. Als ich dann aber diese Woche den Text las, aus dem das obige Zitat von Anne Bateson stammt, hatte ich das Gefühl: Das ist keine theoretische Spinnerei, sondern handfeste Geschäftsgrundlage für die weltweite Medienmarke The Guardian.
¯\_(ツ)_/¯
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Der Shruggie des Monats ist eine Rubrik aus meinem Newsletter (den man hier kostenlos bestellen kann). Der Shruggie ist die Hauptfigur aus meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“, in dem ich zehn Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen versammle – er hatte auch einen Podcast namens „Was würde der Shruggie tun?“
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