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Der Shruggie des Monats ist eine von meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ inspirierte Rubrik meines monatlichen Newsletters (den man hier kostenlos bestellen kann). Seit Anfang des Jahres habe ich darin bereits den Autoren Eli Pariser, das Phänomen des Techlash und den Broccoli-Tree beschrieben – weil sie mir besonders passend zur Hauptfigur aus dem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“ erscheinen. Nun mit etwas Sicherheitsabstand zu den Ostertagen: der Traditionshase
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Der Kollege Oliver das Gupta hat bei SZ.de die Sache mit dem Hasen sehr gut zusammengefasst: „Pünktlich zum nachrichtenarmen Feiertagswochenende“, schreibt er, „initiiert die politische Rechte einen Tanz ums goldene Langohr. Es geht um Osterhasen, genauer: um Schokoladenhasen, die zur Osterzeit gekauft, verschenkt und manchmal zu spät vertilgt werden. Im Handel firmiert eine Schweizer Sorte unter der Bezeichnung „Traditionshase“, worüber sich AfD-Leute und deren Anhang empören.“ Ihr Verdacht, den sie mit ihrer Followerschaft teilen, die ihn daraufhin ebenfalls verbreitet: „Die „Osterhasen“ müssten nun „Traditionshasen“ heißen, weil man sich nach der nicht-christlichen und nicht bio-deutschen Kundschaft richtet. Es sei eine „Unterwerfung“ (O-Ton AfD-Chef Jörg Meuthen) unter die politische Korrektheit.“
Im Folgenden widmet sich Oliver das Gupta dann sehr lesenswert der Geschichte des Osterhasen und geht der Frage nach, „ob der Osterhase wirklich zum christlich-abendländischen Kulturgut taugt, das verteidigt werden muss.“ Das ist sehr lesenswert, mich interessiert an der Aufregung um den Hasen, der übrigens schon seit 1992 als Traditionshase geführt wird, ein anderer Aspekt, der auch den Shruggie im genannten Buch umtreibt: Was wäre eigentlich, wenn das Gegenteil richtig wäre?
Ich habe mich in der Debatte kurz gefragt, was eigentlich wäre, wenn die Sorge der Menschen stimmt, die eine Unterwerfung derjenigen Traditionen zu erkennen meinen, die ihnen offenbar wichtig sind. Was wäre eigentlich, wenn ich ein Schulterzucken lang versuche herauszufinden, woher ihre Sorge rührt? Anders formuliert: Warum teilen Menschen diesen Unsinn?
Sie haben offenbar tatsächlich die Sorge, Dinge, die für sie wichtig sind, könnten an Bedeutung verlieren. In ihnen wächst scheinbar ernsthaft der Verdacht, sie selber könnten marginalisiert werden. Der Osterhase scheint ihnen wirklich zum Symbol ihrer eigenen Wichtigkeit zu werden. Sie haben das Gefühl, keine Rolle mehr zu spielen. Sie glauben, dass ihre Ansichten und Meinungen unterrepräsentiert sind, sie fühlen sich zurückgedrängt (wie absurd das z.B. im Fall von Jens Jessen sein kann, hat Margarete Stokowski sehr anschaulich beschrieben)
Viel wichtiger als die Frage, ob das alles auf Basis einer wirklichen Grundlage stattfindet oder nicht, ist die Beobachtung, dass und wie Populisten genau dieses Gefühl bedienen und in ihren Narrativen („darf man hierzulande ja nicht mehr sagen“) noch bestärken. Denn nur wenn man im Sinne des Shruggie aus dieser Perspektive auf das Thema blickt, wird man erkennen, dass man die Debatte mit Lustigmachen oder Gegenkampagnen in social-media nicht einfangen wird. Sie bestärken im Gegenteil sogar noch den Eindruck der gefühlt marginalisierten Masse.
Der Traditionshase ist deshalb ein gutes Symbol für den ständigen Appell an einen offenen, pluralistischen Diskurs, weil er so inhaltsleer ist. Genau deshalb beweist er aber, dass die demokratische Antwort auf diese inszenierten Aufregungs-Debatten nicht allein darin liegen kann, die Behauptung als inhaltlich falsch offenzulegen. Am Gefühl der Marginalisierung ändert das nichts – oder um es im Bild der beiden Menschen zu sagen, die von rechts und links auf eine am Boden liegende Ziffer blicken: Sie halten die 9 noch immer für eine 6.
Damit will ich keineswegs davon abraten, weiterhin zu sagen was ist. Es geht weiterhin darum, die Perspektiven von 6 und 9 zu benennen. Um aber die Grundlagen der pluralen, demokratischen Gesellschaft nicht in einem Facebook-Kampf von Rechthabern in Frage zu stellen, muss man mindestens ebenso sehr darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt. Und für alle, die – wie ich – diese angestachelte Sorge um den Untergang des Abendslandes für falsch halten, heißt das zunächst: zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich ernsthaft von dem Begriff Traditionshase oder Wintermarkt marginalisiert fühlen. Es gibt diese Perspektive!
Das heißt nicht im Seehofer-Sinn: die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Es heißt nicht, das Gefühl der Marginalisierung noch zu verstärken, indem man ständig von der Gefahr durch das Fremde spricht. Es heißt: Ihre Perspektive verstehen, nachvollziehen, warum sie auf die Tricks der Populisten reinfallen. Es heißt, das Narrativ der offenen, demokratischen Gesellschaft dem entgegenstellen, was die Populisten als Antwort anbieten. Es heißt den Perspektivwechsel vorzuleben.
"Tradition" ist übrigens gar kein Synonym für "richtig".
— Captain Cat (@wittschicat) 4. Januar 2014
Das beginnt damit, dass man dem Gefühl der vermeintlich Marginalisierten nachgeht – und ihm ebenfalls einen Perspektiv-Wechsel entgegenstellt. Das wird nicht bei den Antreibern dieser Debatten gelingen. Aber bei denen, die ihnen folgen, weil sie ernsthaft denken, durch den Verlust des Begriffs „Osterhase“ einen Wert zu verlieren. Kann es gelingen, ihnen die Perspektive derjenigen dazustellen, die wirklich etwas verlieren, weil sie ihr Land verlassen müssen? Weil ihre Unterkunft abgebrannt ist?
John Perry Barlow hat mal den Ratschlag für erwachsenes Handeln formuliert, den man vor dem Hintergrund des Traditionshasen neu lesen könnte: „Du solltest nicht davon ausgehen,“ schrieb er, „dass die Motive anderer ihnen weniger edel erscheinen als deine Motive dir selber.“
Wenn also diejenigen, die diese Traditionshasen-Aufregung weitergetragen haben, aus für sie ebenso edlen Motiven gehandelt haben, wie diejenigen, die versuchen die Luft aus dem Unsinn zu lassen, dann sollte es doch beiden Seiten möglich sein, einen Perspektivwechsel zu vollziehen. „Bildung ist die Fähigkeit, eine Sache aus der Perspektive eines anderen zu betrachten“, hat Gadamer mal gesagt. In diesem Sinne würde der Shruggie in Sachen Traditionshasen mehr Bildung wünschen – für alle Seiten.
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Der Shruggie des Monats ist eine Rubrik aus meinem Newsletter (den man hier kostenlos bestellen kann). Der Shruggie ist die Hauptfigur aus meinem Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“, in dem ich zehn Gründe für einen gelassenen Umgang mit dem Neuen versammle – er tritt auch im Podcast „Was würde der Shruggie tun?“ auf.
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