Stehkino YouTube

Die Leser, die über die Google-Suche Alexander Kluge YouTube hierher gekommen sind, haben mich (indirekt) daraufhingewiesen, woher ich die sehr guten Einschätzungen Kluges aus der Samstags-SZ kenne: Er hat sie schon mal so ähnlich gesagt – im Zündfunk. Dort sagte er:

Es gibt in der Anfangsphase des Films diese Arbeits-Immigranten in New York, die sprechen die Sprache des anderen nicht, die sind am Abend erschöpft. Und da stehen jetzt im Stehkino die Iren, die Schotten, die Galizier und die Deutschen und so weiter umher und reden, während der Film läuft. Das sind ungeduldige Menschen. Etwas, was länger als drei Minuten ist, dulden sie nicht. Wenn es kurz ist, dann darf es 100 Minuten dauern. Aber das Element muss kurz sein. Und jetzt kommt die Filmgeschichte aus der Zukunft wieder neu aus dem Netz auf uns zu: Diese Menschen sind, weil sie selber was können und was reinstellen können, ebenfalls ungeduldig. Also kehrt die frühe Filmgeschichte von 1902 2008 wieder. Und dann muss man die ernst nehmen.

Im Gespräch mit Willi Winkler sagte er am Wochenende:

Kluge: Da kommt die Vergangenheit als Zukunft auf uns zu. Am Anfang der Filmgeschichte gab es nur Minutenfilme. In den Kinos in New York standen die Einwanderer…

SZ: Sie standen im Kino?

Kluge: Standen die Einwanderer und unterhielten sich in ihrer jeweiligen Sprache über das, was auf der Leinwand lief. Nach einem harten Arbeitstag waren sie für längere Filme nicht zu haben.

SZ: Aber das können Sie doch nicht wollen.

Kluge: Doch, wir wollen so einfach wie eine Moritat und so differenziert wie Goethes „Wahlverwandtschaften“ sein. Dazwischen ist unser Seil aufgespannt.

SZ: Aber in anderthalb Minuten kann nicht einmal der Zirkusdirektor Kluge die „Wahlverwandtschaften“ erzählen.

Kluge: Doch.

SZ: Das möchte ich sehen.

Kluge: Sie können es natürlich nicht, wenn es bei der Minute bleibt. Wir arbeiten mit pars pro toto, mit Andeutungen. Sie können die Viererbande der „Wahlverwandtschaften“ in einer Minute bringen. Sie können den Teich, in den das Kind wenig später hineinfallen wird oder eben hineingefallen ist, in einer Minute zeigen. Das Hineinfallen selber kann ich nicht in einer Minute zeigen.

(…)

Bei YouTube gibt es, sehr zerstreut zwar, oft brillante Dinge, und die werden vollkommen neu erfunden, ohne jede Programmdirektion. Diese indirekte Öffentlichkeit ist eine neue Herausforderung: ein großer Platz, ein Opernhaus, ein Parlament.

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