In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit schreibt Susanne Gaschke einen Auf dem Rücken des Autors betitelten Text, in dem sie die Tatsache, dass Google ungefragt Bücher einscannt wie schon andere vor ihr sinnfrei mit dem Prinzip Open-Access in einen Topf wirft. In der Sendung breitband hat Matthias Spielkamp vergangene Woche abermals erklärt, warum das nicht nur töricht, sondern auch kontraproduktiv ist. Susanne Gaschke hält dies nicht davon ab, Googles „Größenwahn“ zu vermengen mit der Welt von „Open-Access-Plattformen“ und weil das noch nicht reicht auch mit der der „Tauschbörsen“.
Weil sich für diese krude Vermischung (natürlich) keine passenden Unterstützer-Zitate finden lassen, bedient sich Susanne Gaschke an meinem geistigen Eigentum und reißt Zitate aus dem Zusammenhang. Dafür nutzt sie zunächst ein Gespräch, das ich unlängst mit Prof. Dr. Urs Gasser geführt habe – wohlgemerkt ging es dabei um sein Buch Born Digital und keineswegs um Googles Digitalisierungspläne. Das ficht Susanne Gaschke nicht an, sie schreibt:
Die Rechte der Autoren, und dagegen richtet sich der Heidelberger Appell, sind eben nicht nur durch Google, sondern auch durch einen sich wandelnden gesellschaftlichen Komment unter Druck, der mit dem Siegeszug der digitalen Kultur neue Spielregeln durchzusetzen versucht. Von einer ¬ªneuen Norm des Teilens im Netz¬´ spricht etwa der St. Galler Professor für Informationsrecht Urs Grasser (sic!) ‚Äì ohne Sorge darum, dass es sich um das Eigentum anderer Leute handelt, das da so großzügig geteilt wird.
Wer sich mit Gassers Arbeit befasst hat, kann diesen letzten Halbsatz nur als Beleidigung verstehen: Eben weil sich Gasser und sein Kollege John Palfrey um „das Eigentum anderer Leute“ sorgen, analysieren sie, wie es zu massiven Urheberrechtsverletzungen zum Beispiel in Tauschbörsen kommt. Sie wollen keine neuen Spielregeln durchsetzen, sie wollen verstehen, warum sich neue Kulturtechniken etabliert haben und sie wollen auf diese angemessen reagieren. Gasser und Palfrey wollen die „Generation Internet“ (wie ihr Buch schlecht übersetzt auf Deutsch heißt) verstehen und sie nicht einfach nur blindwütig verdammen. Dass sie daraus tatsächlich den Schluss ziehen, dass die Spielregeln der digitalen Kultur angepasst werden müssen, heißt aber keineswegs, dass sie das Urheberrecht abschaffen wollen. Im Gegenteil: In dem Interview, aus dem Susanne Gaschke sinnentstellend zitiert, erklärt Gasser:
Die Antwort auf dieses Phänomen muss Innovation heißen, wir müssen also neue Lösungen finden, wie wir den Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern unter den neuen Bedingungen der Digitalisierung aushandeln können.
Wer „neue Lösungen“ für die unbestreitbare Herausforderung der Digitalisierung fordert, macht sich allerdings für Susanne Gaschke schon verdächtig. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie sich anschließend abermals an meinem geistigen Eigentum bedient und den Text Kontrolle ist schlechter aus der SZ absichtsvoll umdeutet. Denn es ist nicht misszuverstehen, dass ich in dem Text überhaupt nicht über die GoogleBooksearch schreibe; wie sich auch Prof. Gasser nicht zu dem Thema geäußert hat. Das ist Susanne Gaschke egal, überleitungslos schließt sich den Gasser-Abschnitt an:
Kunst habe doch immer auf dem Prinzip der Adaption, der Anspielung und der Kopie beruht, schreibt Dirk von Gehlen in der Süddeutschen Zeitung. ¬ªDie Digitalisierung ist ein technischer Entwicklungsfortschritt, der revolutionäre Folgen nach sich zieht‚Ķ Die Gesellschaft und der sogenannte Kulturbetrieb müssen sich fragen, wie sie damit umgehen wollen.¬´ Für Gehlen ist das klar: Er hätte nicht gewollt, dass die Kerzenmacher im 19. Jahrhundert (sprich: Autoren und Wissenschaftler) über die Nutzung elektrischen Lichts (sprich: GoogleBookSearch, Open-Access-Plattformen, Tauschbörsen) abstimmen.
Da in dem zitierten Text „Autoren und Wissenschaftler“ gar nicht auftauchen, kann man diese genauso wenig in der Übersetzung der (im übrigen von Jeanette Hofmann stammenden) Metapher einsetzen, wie GoogleBookSearch oder Open-Access-Plattformen. Dies zu tun, empfinde ich als persönlich verunglimpfend und in hohem Maße unprofessionell. Dass es zudem auch unlogisch ist, belegt der Satz, mit dem sie die Verbindung zu Google zu schaffen versucht:
Google, einem Riesenkonzern mit unbestreitbaren Gewinninteressen, kommt eine solche Argumentation der Netzweltversteher natürlich enorm entgegen.
So fragwürdig dieser Bezug ist, er ist Gaschkes zentrales Argument, Prof. Gasser und mich in diesen neuen Zusammenhang misszudeuten. Daran sind mindestens zwei Dinge auffällig: Zum einen hält Susanne Gaschke Netzweltversteher offenbar tatsächlich für ein Schimpfwort. Zum zweiten ist das Argument „Wer nicht blindwütig und kulturpessimistisch auf die Digitalisierung schimpft, steht automatisch auf der Seite von Google“ dann doch erstaunlich schwach; immerhin befinden wir uns in einer relevanten deutschen Wochenzeitung, die sich mehr Gegenwärtigkeit zutrauen könnte (zumal wenn sie Zeit heißt). Getoppt wird dieser neue Kulturpessimismus durch den Kontext, in dem er verbreitet wird. Immerhin haben die Zeit-Macher auf ihre aktuelle Seite 1 die Frage geschrieben: „Wer denkt für morgen?“ und dies mit der Unterzeile „Die Zukunft braucht die besten Ideen“ versehen. Ob man die tatsächlich findet, wenn alle, die eine Welt verstehen und nicht einfach verdammen wollen, ahnungslos und boshaft verunglimpft wie Susanne Gaschke dies am Ende ihres einseitigen Text tut, darf bezweifelt werden:
Nur Urheberrechtsschutz ist ein Anreiz dafür, dass solches Wertvolle geschaffen wird. Dass jedenfalls die digitale Enteignung der Urheber ein Konjunkturprogramm für bessere Wissenschaft und Kultur ist, mag glauben, wer seine Hausaufgaben bei Wikipedia abschreibt.
Gut gebrüllt! Aber: Wofür eigentlich? Also: Was ist der Vorschlag, den Susanne Gaschke macht, um das Dilemma mit der Google-Buchsuche zu lösen? Ich habe keinen entdeckt – außer dem Ankämpfen gegen … Ja, gegen wen eigentlich? Von wem stammt diese fragwürdige Konjunkturprogramm-Behauptung, die Frau Gaschke hier so virtuos aus der Welt schafft? Hier hätte man sich ein Zitat als Beleg und ein wirkliches Gegenargument statt einer platten Beleidigung gewünscht. Das Erschreckende an dieser Unverschämtheit ist jedoch: In Sachen Open Access wäre es tatsächlich besser bei Wikipedia abzuschreiben als bei der Zeit.
2 Kommentare
Solche Artikel, wie die von Frau Gaschke, machen es zunehmend schwer, Zeit-Abonnement zu bleiben. Aber inzwischen weiss man ja, das ‚Äûtraditionelle“ Medien sich mit der Netzwelt immer noch sehr schwer tun.
Der Gaschketext war schon an sich hochnotpeinlich und mit derart vehementen Scheuklappen, dass ich mir das Ärgern einfach gespart habe und zum Kopfschütteln übergegangen war. Dann aber zu sehen, wie handwerklich schlecht und inhaltlich ideologisch Frau Gaschke zu Werk gegangen ist, setzt der Unverfrorenheit die Krone auf. Aber wie gut, dass es möglich ist, zur Gegenrede anzusetzen.