Im Juni lobte die Jury des Scoop-Ideenwettbewerbs des Axel-Springer-Verlags, das Projekt Talk2enemy habe das Potenzial, „eine neue Streitkultur zu entwickeln und so auch eine junge Zielgruppe anzusprechen“. Heute nun ist das Debatten-Portal offiziell gestartet.
Via Facebook und vor allem auf YouTube konnte man schon vorher auch als unbeteiligter Zuschauer Einblick in die vermeintlich neue Debatten-Kultur nehmen. Zu sehen bekommt man Videoblogger, die in zwei Lager geteilt über eine Frage diskutieren – und zwar in Form von jeweils etwa dreiminütigen Clips. Angeleitet wird das ganze von einem „erfahrenen Konfliktcoach“ als Moderator.
Ich bin durchaus gespannt, wie sich diese Versuchsanordnung entwickeln wird. Denn die „neue Debatten- und Streitkultur im Netz“, die T2E verspricht, würde mich sehr interessieren. Doch gelingt diese tatsächlich, wenn man schon im Titel einen „Enemy“ beschwört und am Ende nicht die besseren Argumente gewinnen lässt, sondern einen Diskutanten als Sieger küren will?
Auch frage ich mich, ob die Konzentration auf das Format Video tatsächlich im Sinne einer Netzdebatte ist oder ob dieses nicht eher der „Dokumentation auf dem ZDF Infokanal“ dient, die „den Verlauf der Debatte“ anschließend abbilden soll? Netzdebatten, die mir bisher bekannt sind, laufen in Kommentaren und selten in Clips. Das macht sie häufig so schwer steuerbar, weil sie spontan und oftmals emotional sind. Die Einstiegshürde ist niedrig.
Bei Talk2Enemy ist die Einstiegshürde hoch. Man muss sich als Videoblogger bewerben oder ausgewählt werden, wird dann mit Laptop und Kamera ausgestattet und geschult. Anschließend diskutieren die zehn Teilnehmer drei Monate lang in „zwei gegensätzlichen Lagern“, die mich auch durch die zumindest verbesserungswürdige Einstiegsdebatte (Lager arm und Lager reich zur These: In Deutschland gibt es keine Armut!) fatal an das RTL2-Bigbrother-Haus erinnern. Das wiederum kann aber auch an der Dauer der Debatte liegen, deren Ziel mir genauso unklar bleibt wie die netzuntypische Debatten-Distanz: Wird man sich wirklich 12 Wochen lang für dieses Thema begeistern, während das Land gerade über einen Bahnhof in Stuttgart, die Integration in Deutschland und die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken diskutiert?
Ich würde mir wünschen, dass von T2E ein Impuls für die Netzdebatte in Deutschland ausginge, habe daran aber erhebliche Zweifel. Denn das Netz wird hier als der Ort gesehen, an dem die Auseinandersetzungen ausgetragen werden, sondern eher wie der Verbreitungskanal verstanden, über den eine (dank vorheriger Schulung) durchaus gelenkte Debatte versendet wird. Welche Rolle dabei die wirklichen Leser spielen, wird sich zeigen. Bisher gibt es ganze fünf Leserkommentare, einer davon stammt von der Agentur Mediaturns, die an der Umsetzung des Projekts beteiligt war.
1 Kommentar
Also, habe mir das Video endlich ansehen und mir eine Meinung bilden können. Was Du so diplomatisch ausdrückst, ist doch folgendes: Fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Hohe Einstiegshürden, Zielgruppenverkennung, thematischer Fehlgriff etc.
Die junge Zielgruppe zu erreichen ist schon schwierig genug, dabei auch gleich noch „eine neue Streitkultur“ entwickeln und möglichst funky im Web 2.0 mitspielen zu wollen, ist dann wirklich überambitioniert.