Ich hatte einen Traum. In dem Traum war Sascha Lobo Fraktionsvorsitzender der Piraten im Deutschen Bundestag. Er trug – mit Verlaub, Herr Präsident – einen roten Iro, stützte sich aufs Parlaments-Pult und knöpfte sich den Vorsitzenden des Rechtsausschusses vor. Lobo schimpfte – in der Attitüde des frühen Fischer – ins weite Rund des Parlaments:
Für mich führt an einem Rücktritt vom Vorsitz des Rechtssausschusses des Bundestags nach eingestandenem mehrfachem Bruch geltender Urheberrechtsgesetze kein Weg vorbei.
Applaus aus seiner Fraktion, aber auch aus Reihen der SPD, der Grünen und der Linkspartei. Lobo nickte, genoß die Zustimmung und setzte sich an seinen Platz.
Doch die Worte stammen aus keinem Parlament, sie stehen in einem lesenswerten Blog-Eintrag Lobos und außerdem passt das ja auch gar nicht zusammen: der Mann mit dem roten Iro und die Piraten (die übrigens – noch – gar nicht im Bundestag sitzen)
Anders als das Wired-Team, das sich damit rühmte, nicht mit Sascha Lobo zusammengearbeitet zu haben, halte ich ihn nicht erst seit seinen wirklich guten Spiegel-Kolumnen für einen der klügeren (digitalen) Denker in diesem Land. Doch auch er ist nicht perfekt: er hat mein Buch nicht gelesen (dazu später mehr).
Ich glaube, dass den in den vergangenen Tagen ausführlich debattierten Piraten (und der dahinter stehenden Bewegung) eine Figur wie Lobo fehlt. Den Beweis liefert die eher amüsante Geschichte um Siegfried Kauder, seine absurde Forderung und sein peinliches Scheitern. Kauder bringt – anders als die Piraten – das zentrale Thema des digitalen Raums auf die Agenda: das Urheberrecht. Sowohl im Piraten-Presseclub als auch in der Anne Will-Debatte fiel nicht mal der Begriff. Geschweige denn wurden Forderungen für diesen zentralen Bereich formuliert. Ich hatte mir auf diesem Gebiet mehr erwartet von den Piraten.
Aber für Enttäuschung gibt es keinen Grund: Sascha Lobo hat den Kern der Debatte erkannt – und heute übers Urheberrecht gebloggt (das übrigens nicht 46 Jahre, sondern in Wahrheit viel älter ist). Er beschreibt das Immaterialgüterrecht (den Begriff nutzt er nicht) als „das wichtigste Gesetz der zukünftigen Kulturlandschaft“, er fordert einen „Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen Gruppen“ und folgert: „ich möchte bei aller Liebe nicht, dass Menschenrechte, auch digitale, weniger Wert sind als das Urheberrecht und seine Durchsetzung.“ Das alles fand meinen Gefallen, ich verlinkte es auf Twitter – auch den folgenden Abschnitt. Da wusste ich noch nicht, dass er damit offenbar auch mich meint:
Es gibt Kräfte, die das Urheberrecht abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben wollen. Dieses Vorhaben ist politisch auch ihr gutes Recht, die Begründungen dafür sind nicht mehr so hanebüchen wie vor ein paar Jahren, sondern kommen zunehmend intelligent und durchdacht daher. Wie beschrieben, halte ich diese Überzeugung für unrichtig, selbst wenn ich sie ernst nehme.
In den Kommentaren unter dem Text erklärt Sascha am Abend: Er meint damit – auch – Marcel Weiss und mich. Dazu muss man wissen: Sascha, Marcel und ich hatten im Sommer 2010 eine kleine Auseinandersetzung über den Begriff des Diebstahls im digitalen Raum. Marcel und ich wiesen ihn damals darauf hin, dass der Begriff nicht ganz korrekt ist. Darauf bezieht sich Sascha heute und leitet daraus ab, ich wolle das Urheberrecht abschaffen.
Ich hatte mich darauf vorbereitet, dass dieser Vorwurf nach Veröffentlichung des Buches kommen würde. Aber von Sascha Lobo hatte ich ihn ehrlich gesagt nicht erwartet (eher von der anderen Seite des digitalen Grabens). Dass er jetzt aber kommt, zeigt mir: Die Debatte steckt fest. Denn wenn allein der Hinweis auf den Wert der Kopie schon als Absage ans Urheberrecht gelesen wird, läuft etwas grundfalsch.
Eines der zentralen Anliegen des Buches ist es, das Urheberrecht (wieder) auf eine gesellschaftlich breit legitimierte Grundlage zu stellen. Gerade weil ich das Immaterialgüterrecht für bedeutsam für die digitale Gesellschaft halte (wer hat es als Magna Carta fürs Internetzeitalter bezeichnet? Sie oder er hatte Recht), halte ich eine Reform für überfällig. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das Urheberrecht nicht von Marcel Weiss oder gar mir in die Unwirksamkeit getrieben wird, sondern von der Realität – wenn es nicht an die Veränderungen der digitalen Kopie angepasst wird.
So ähnlich steht das auch in dem zitierten Blog-Eintrag. Sascha schreibt:
Denn das Netz und auch der gesellschaftliche Wandel bedingen ohne jeden Zweifel ein neues, der digitalen Welt angemessenes und würdiges Urheberrecht. Wie das genau aussieht, kann ich nicht sagen, ich glaube, niemand könnte das derzeit, ich wäre aber gern bereit, daran in einem mir möglichen Rahmen mitzuarbeiten.
Damit schließt sich der Kreis zu meinem Traum: Ich glaube, dass es in der Tat hilfreich sein könnte, wenn Sascha mithelfen würde, die Debatte über eine Reform des Urheberrechts auf den Weg zu bringen. Doch anders als er, denke ich, dass es sehr wohl Menschen gibt, die eine Vorstellung davon haben, wie das aussehen könnte. Anfang des Monats hat Telepolis zum Beispiel ein langes Interview mit Till Kreutzer veröffentlicht, in dem er Grundzüge seiner Vorstellungen darlegt. Um solche Ideen einordnen zu können, sollten wir die revolutionäre Kraft, die von der Ungeheuerlichkeit der digitalen Kopie ausgeht, in den Blick nehmen und ihren Wert verstehen. Zum Beispiel durch die Lektüre meines Buches – das würde dann auch das Missverständnis klären, dass ich die Kopie nicht lobe, um das Urheberrecht abzuschaffen, sondern um es im Gegenteil zu stärken.
P.S.: Nach Lektüre seines Impressums habe ich von der Idee Abstand genommen, Sascha mit einem Link zu diesem Eintrag ein Exemplar des Buches zu schicken. Er kann es sich ja kaufen!
2 Kommentare
So nicht, mein Herr. Zum einen habe ich Dein Buch längst gekauft, Teil meiner Religion, ich kaufe die Bücher, die ich lesen möchte und schnorre grundsätzlich nicht bei anderen Autoren.
Pics or it didn’t happen: http://saschalobo.com/wp-content/uploads/2011/10/dvg.jpg
Zum zweiten schreibe ich nicht, dass Du das Urheberrecht abschaffen willst. Schon klar, dass Du darauf gewartet hast, um die Diskussion um Dein Buch anzutreiben – aber deshalb musst Du mir nicht unterstellen, was ich nicht geschrieben habe.
Die Frage des Kommentators auf meinem Blog war:
„Kannst du zeigen, wo die Forderungen (wie sie zum zum Beispiel von der Piratenpartei verkündet werden) zur Einschränkung und/oder Abschaffung des Urheberrechts “intelligent und durchdacht daherkommen”?“
Meine Antwort war der Verweis auf Dein Buch. Und zweifellos betreibst Du die Einschränkung (nicht Abschaffung, dafür ist das „oder“, das ich in meinem Text auch benutzt habe) des Urheberrechts, von mir formuliert als „in die Unwirksamkeit treiben wollen“. Das weisst Du, und für dritte Kommentatoren lege ich ein kurzes Zitat gewissermaßen im Schlussplädoyer des Buchs vor, wo du Lessings „Nathan der Weise“ als Parabel benutzt und einen Ring als Metapher für das Urheberrecht: „Dass wir die Tyrannei des einen Rings nicht länger dulden, das ist das in diesem Buch verfolgte Ziel.“ Man muss kein Phantast sein, um in diese Formulierung einen Wunsch zur Einschränkung des Urheberrechts hineinzulesen.
Also bitte schreib keinen Unsinn hier in Dein Blog, um mir etwas zu unterstellen, was ich nicht geschrieben habe, damit Du Deinen langersehnten Angriff von der bösen Contentindustrie vermarkten kannst.
Das rhetorische Problem ist doch dies: Im Blogeintrag schreibst Du von „abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben“, im Kommentar von „abschaffen oder einschränken“. Beides ist falsch: Ich will das Urheberrecht den digitalen Gegebenheiten anpassen. Daraus „abschaffen oder einschränken“ zu machen, ist unredlich.
Ich finde wir müssen Lösungen mit der digitalen Kopien finden und nicht dagegen. Ich habe deinen gestrigen Blogeintrag so verstanden, dass Du das auch willst. Heißt: Du zählst jetzt auch zu den oben genannten Kräften. Das ist gut.
Zu dem Lessing-Bezug: Das Schlusskapitel handelt nicht vom Urheberrecht, sondern von einem neuen Begriff des Originals (deshalb heißt es auch so). Insofern bezieht sich die zitierte Tyrannei auch nicht auf ein Gesetz, sondern auf den einen vermeintlichen Original-Ring, der die drei Brüder vor Probleme stellt.