Zum Ende des Münchner Oktoberfests darf man ausnahmsweise über die Trinkkultur in Bayern philosophieren – und diese in Verbindung zum digitalen Wandel bringen. Vor allem nach einem solch sonnigen Wochenende, das auch abseits der Festwiese viele Münchner im Biergarten verbrachten. Wer dort mit ortsfremden Menschen Bier aus großen Krügen trinkt, muss dann und wann die Besonderheit erklären, die mich an diesem Wochenende an die vermeintliche Umsonst-Kultur im Internet erinnerte.
Wenn wir das Internet nicht als Verbreitungsweg, sondern als Raum verstehen, verändert das unsere Perspektive auf mögliche Bezahlmodelle an diesem Ort. Danah Boyd hat dazu einige interessante Gedanken aufgeschrieben – die ich vor fast einem Jahr schon verlinkte. Sie schlägt vor, den Gedanken des sozialen Raumes in den Vordergrund zu rücken, um zu verstehen, wie digitale Bezahlmodell funktionieren können:
Think about how we monetize sociality in physical spaces. The most common model involves second-order consumption of calories. Venues provide a space for social interaction to occur, and we are expected to consume to pay rent. Restaurants, bars, cafes—they all survive on this model. But we have yet to find the digital equivalent of alcohol.
Womit wir wieder im Biergarten sind. Dessen Prinzip stellt das Bier derart zentral, dass Speisen dort lediglich optional vom Betreiber bezogen werden können – man kann sie auch selber mitbringen. Einzig die Getränke muss man im Biergarten kaufen. Speisen gibt es auch, man kann sie aber auch selber an den Ort des Verzehrs tragen. Das ist gute bayerische Tradition, erklären Schilder z.B. im Münchner Hirschgarten. Aus der Perspektive, die mancherorts aufs Netz geworfen wird, ist das keine Tradition, sondern Unsinn. Warum sollte man auf diesen möglichen Umsatz verzichten? Warum sollte man etwas verschenken? Warum sollte man dem Kunden erlauben, selber etwas herzustellen und mitzubringen, was er professionell erstellt, erwerben soll?
Ich bin kein Betriebswirt, ich weiß auch nicht ob diese für ein solches Vorgehen eine Begründung haben. Ich weiß aber, dass das Prinzip des Biergartens dem wirtschaftlichen Wohlergehen der bayerischen Brauereien nicht schadet. Im Gegenteil: Viele Menschen treffen sich bei gutem Wetter dort und sorgen für Umsatz. Womöglich für weniger als würde man sie auch zum Speisen-Erwerb nötigen. Aber sicher sind es sehr viel mehr Menschen, die unter unter diesen Umständen in den Biergarten kommen. Sie empfinden den Abtransport der Krüge auf großen Wagen, die auch in der Straßenreinigung eingesetzt werden könnten, nicht als störend, sondern als Bestandteil der Inszenierung. Der Wirt spart sich die Bedienungen, der Gast erfreut sich an der Tradition.
Vielleicht brauchen wir für den digitalen sozialen Raum eine ähnliche Inszenierung wie die des Biergartens – auch und gerade wegen des vermeintlichen Verschenkens. Vielleicht müssen wir den Blick vom Produkt heben und den sozialen Raum drumherum betrachten. Vielleicht müssen wir digitale Kastanien pflanzen.
P.S.: Wer die Metapher jetzt fortspinnen möchte und auf den Sucht-Aspekt von Alkohol kommen will, dem sei dieser Text von Stefan Niggemeier über angebliche Internet-Sucht empfohlen.