In den vergangenen Wochen bin ich an der einen oder anderen Stelle mit der Frage konfrontiert gewesen: Wie wäre es eigentlich, wenn man das Internet abschalten könnte? Man kann natürlich gegenfragen, wofür dieser Gedanke gut sein soll. Häufig läuft dieser Diskurs aber auf eine Frage zu, die mir unlängst auch auf einer Podiumsdiskussion gestellt wurde: Sind wir süchtig nach Internet-Kommunikation? Ich glaube, dass die Sehnsucht nach Offline eher der Tatsache entspringt, dass das Medium noch sehr jung ist (und deshalb der Umgang damit von einer gewissen Ablehnung geprägt ist) als dass man daran ein gesellschaftliches Suchtphänomen ablesen könnte.
Wie falsch der Begriff der Sucht ist, kann man in einer interessanten Studie nachlesen, die am Phillip Merrill College of Journalism an der University of Maryland durchgeführt wurde. Sie trägt den Titel: A Day Without Media (via) und kommt zu dem Ergebnis:
„Students hate going without media. In their world, going without media, means going without their friends and family.“
Das Zitat stammt aus einem Poynter-Bericht über die genannte Studie. Und es zeigt: Das, was als Sucht bezeichnet wird, beschreibt fehlende soziale Bindung. Und soziale Bindung wird heute zunehmend (auch) über Medien realisiert. Dass Menschen „süchtig“ sind nach Kontakten, halte ich für schlampig formuliert, aber für inhaltlich unproblematisch. Denn: Was wäre die Alternative?
Man kann aus dieser Beobachtung aber eine Menge für die Zukunft des Journalismus ableiten. Jedenfalls dann, wenn man die Ergebnisse der amerikanischen Forscher ernst nimmt. (Details zum Aufbau, Ablauf und zu den Ergebnissen der Studie kann man übrigens auf der Website nachlesen)
Erstaunlich finde ich den obigen Punkt, weil er Beleg für die These ist: Medien sind sozial – jedenfalls wenn man das Verständnis der Probanten anlegt („Students could live without their TVs and the newspaper, but they can’t survive without their iPods.“). Deren Mediennutzung ist eine, die auf Kommunikation (in Abgrenzung zu klassischer Publikation) angelegt ist, sie suchen den Dialog, wenn sie Medien nutzen. Insofern stimmt die Prognose
„The future of journalism will be social and mobile, whether you like it or not“
Der Grund dafür liegt in dem, was man Social Media nennt. Es bezieht sich auf die unumkehrbare Entwicklung hin zum aktiven Rezipienten. Für die tägliche Arbeit eines Journalisten halte ich es jedoch für zielführend, den Aspekt des soziales Wissens zu ergänzen – den man ebenfalls aus der Studie ableiten kann. Er bezieht sich auf den Wert von Nachrichten. Wenn die Studie zu dem Schluss kommt, die Studierenden …
„don’t make fine distinctions between news and more personal information.“
… liest sich dies wie der Gegenentwurf zur ZDF-Kampagne, mit der vor einem Jahr das neue Nachrichtenstudie beworben wurde. Damals hieß es:
“Neuigkeiten gibt es beim Friseur, Nachrichten beim ZDF.”
Man versteht die Hintergründe für diese Kampagne und sie sind aus der öffentlich-rechtlichen Perspektive sicher auch alle richtig. Wenn man die Kampagne jedoch vor dem Hintergrund von social Media liest, stellt sie sich ganz anders dar. Denn die strikte Trennung von harten Nachrichten und weichen Neuigkeiten war schon immer eine künstliche. Das obige Bild zeigt: Die Nachrichten (Zeitung) kamen schon immer über den gleichen Weg wie die Neuigkeiten (Briefe, Postkarten etc.) zu den Menschen. Das, was früher der Briefkasten war, ist heute das Internet. In den Timelines von Twitter und Facebook verbinden sich klassischen Nachrichten mit den Neuigkeiten von Freunden – und diese wiederum verweisen sogar auf Nachrichten.
Wer Social Media ernst nimmt, muss diese Vermischung akzeptieren und die richtigen Schlüsse für die klassischen Medienanbieter daraus ziehen (und das kann meiner Meinung nach nicht das Verdammen des „Geschwätzs“ sein). Zunächst mal gilt dies: Durch die Demokratisierung der Publikationsmittel verlieren Journalisten ihren Exklusivitätsanspruch. Amateure drängen in die Branche. Doch das muss nicht zum Ende der Profession führen (wie das Beispiel des Bäcker-Handwerks zeigt). Es verändert mindestens das Umfeld, in dem Nachrichten heute wahrgenommen werden. Darauf müssen Journalisten reagieren. Zum einen zeigt sich dies in der Forderung von Peter Horrocks (die auch Wolfgang Blau in seinem Beitrag zur SZ-Serie Wozu noch Journalimus? zitiert), der in Bezug auf Social Media seine BBC-Mitarbeiter dazu ermutigt mitzumachen:
I’m afraid you’re not doing your job if you can’t do those things.
Zum anderen wird sich dies aber auch in der Art und Weise zeigen, wie wir Nachrichten aufbereiten. Welche Rolle spielen dabei unsere Leser als Multiplikatoren? Und als Inhalte-Produzenten? Welchen Grad an Transparenz lassen wir zu? Wie reagieren wir auf die Möglichkeiten und Herausforderungen des Dialogs? Wie wird unser Medium tatsächlich sozial?
Bei der Beantwortung dieser Fragen stehen wir – so ist mein Eindruck – noch ganz am Anfang. Und das, obwohl ständig und überall von Social Media die Rede ist …
4 Kommentare
[…] Was das “social” in Social-Media bedeutet … – Dirk von Gehlen […]
[…] der einen Seite und vernetzten Medien auf der anderen Seite besteht und beschreibt, wie mittels der Techniken des sozialen Web Information von einer Destination zu einem sich verflüssigende Gegenstand wurde. Das alles, […]
[…] sind geprägt von einer distanzierten Skepsis gegenüber den Instrumenten des so genannten sozialen Web, das vielen ein im Kern verachtenswerter Ort ist, in dem sich geltungssüchtige Menschen tummeln, […]
[…] ist mein Mehrwert. Und das dritte ist: Ich glaube, man muss Grooming betreiben. Man muss also die soziale Leistung, die schon immer Teil des traditionellen Journalismus war, wo er nicht als reiner Journalismus […]