Die beiden Männer auf diesem etwas peinlichen (?) Schnappschuss do oben (Foto: Instagram) heißen Xavier Di Petta und Nick Iavarone. Gemeinsam sind sie das DJ-Duos Partyshirt, das auf Tiktok so erfolgreich ist, dass die New York Times über sie berichtet. In dem Text fällt ein erstaunliches Zitat von Xavier, das die Frage, was eigentlich peinlich ist, in ein ziemlich neues Licht rückt.
Statt „peinlich“ verwenden manche Menschen übrigens auch den Begriff „cringe“ oder wie Phil Laude es hier (Ok Boomer!) formuliert: zum Fremdschämen. Das sollte man wissen, um Xaviers Einschätzung zum Thema Peinlichkeit besser zu übersetzen. Er sagt:
“Everything’s cringey until it gets views”
Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was man bis vor ein paar Jahren als „peinlich“ beschrieben hätte. Denn so lange es keiner sah (oder es keine Views bekam), war nach damaliger Ansicht eine Sache eigentlich auch nicht peinlich. Sieht ja keiner. Heute, so interpretiere ich Xaviers Einschätzung, gibt es eine gegenteilige Haltung, die es für peinlich hält, wenn ein Clips, ein Foto oder Meme keine Views erhält. Anders formuliert: auch der peinlichste Inhalt kann durch seinen Kontext (hohe Verbreitung) in ein unpeinliches Licht gerückt werden.
Darin liegt nicht nur eine zufällige Veränderung der Zuschreibung des Begriffs der Peinlichkeit. Es ist, so kann man in dem NYT-Text weiter lesen, volle Absicht. Man könnte sogar sagen „Social-Media-Strategie“:
Both the men said it’s important to be bold online. Many people feel embarrassed by their videos, especially given that offline friends and contacts are likely to see them. The men said that shame is often the biggest hurdle, but it shouldn’t be.
Treiber ist das von Bühnen bekannte Rampensau-Phänomen, sich auch in peinlichen Situtationen zu zeigen. Hier wird es aber weiter ausgedehnt. In ihren Tiktok-Clips inszenieren die beiden eine derart beiläufige Gewöhnlichkeit, indem sie Lebensmittel testen oder allerlei Alltäglichkeiten in neue Kontexte rücken, dass es auch nicht verwundert, dass ihre „Website“ namens partshirt.co auf ein Google-Doc verweist, das vor ein paar Jahren vermutlich als cringe bewertet worden wäre (ohne den Begriff zu verwenden)
Die Welt, die sich hinter Xaviers Einschätzung öffnet, breitet vor allem einen Aspekt vor uns aus: Cringe ist keine Zuschreibung, die einzig und allein auf den Content eines Bildes oder einer Handlung zutrifft. Ob etwas Cringe ist, entscheidet sich offenbar auch am Kontext des jeweiligen Inhalts, also anhand der Metadaten, die die Inhaltsdaten ergänzen. Für Partyshirt spielen dabei Reichweite und Views offenbar eine so wichtige Rolle, dass sie sogar die gelernte Zuschreibung von Peinlichkeit auf den Kopf stellen.
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