Wer bestimmt über deine Aufmerksamkeit?

Mehr Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit – dafür habe ich das Projekt Be-Achtung gegründet, das im Laufe des Jahres als Newsletter/Klub/Programm die Rolle von Aufmerksamkeit als politischer Kategorie bearbeitet


Flood the zone with shit – mit dieser Aufforderung zur Informationsverschmutzung hat der damalige Trump-Berater Steve Bannon schon vor Jahren die Strategie populistischer Öffentlichkeitsarbeit beschrieben. In diesen ersten Tagen von Trumps zweiter Präsidentschaft erleben wir, was das konkret bedeutet: Musks öffentlicher Hitlergruß, die Forderung den Golf von Mexiko umzubenennen oder Grönland zu erobern – all diese Provokationen dienen nur einem Ziel: die Aufmerksamkeitszone der Öffentlichkeit zu bespielen!

Das gelingt deshalb so gut, weil das Prinzip hinter dieser Provokation auf unsere wertvollste Ressource zielt: unsere Aufmerksamkeit.

In dem Projekt „Wesentlich weniger“ habe ich versucht zu beschreiben, warum wir mehr Aufmerksamkeit auf unsere Aufmerksamkeit legen müssen (Foto: Unsplash). Denn: In einem aufgeklärten Umgang mit unserer Aufmerksamkeit liegt der Schlüssel für eine freie Gesellschaft im Zeitalter der demokratisierten Publikationsmittel. Wir haben bisher den Fokus auf die Veröffentlichung gelegt. Dass jede und jeder Inhalte publizieren kann, markiert den großen Unterschied zum 20. Jahrhundert. Um damit einen guten Umgang zu finden, müssen wir aber den Blick vom Inhalt auf die Aufmerksamkeit richten. Denn ein Reichtum an Informationen erzeugt eine Armut an Aufmerksamkeit – so hat es Herbert Simon schon in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts formuliert.

Und Aufmerksamkeits-Armut ist nur eine andere Beschreibung für die Tatsache, dass Wertigkeit nicht mehr allein auf der Seite des Inhalts, sondern vor allem auf der Seite der Aufmerksamkeit entsteht. Nur die Dinge, denen wir Aufmerksamkeit schenken, können Bedeutung erlangen. Aber kann man deshalb einfach ignorieren, was Trump und andere Populisten öffentlich fordern?

Vermutlich nicht. Aber achtsam damit umzugehen, in welche Glut man hineinpustet, das kann man schon. Konkret heißt dies: in vielen Fälle ist der Widerspruch gegen besonders absurde Provokationen eingepreist und bringt den Thesen erst die gewünschte Verbreitung. In diesem Essay im Deutschlandfunk habe ich beschrieben, wie Memes, die als identitätsstiftende Vereinfachungs-Muster dienen, diesen Prozess noch verstärken – und Polarisierung befördern und Kompromisse ausschließen.

Der Wunsch, die Flood zu stoppen, ist dennoch präsent. Das Magazin Watson denkt über einen Trump-Aus-Knopf nach und Vox bietet einen Log-Off-Newsletter an

Bernie Sanders warnt in dieser Woche im Guardian vor einer populistischen Falle, die sich aus dem Flood-the-zone-Narrativ ergibt:

In den kommenden Monaten und Jahren besteht unsere Aufgabe nicht nur darin, auf jede absurde Äußerung von Trump zu reagieren. Das ist es, was die Trump-Welt von uns will. Sie wollen die Parameter der Debatte festlegen und uns in ihrer Welt leben lassen. Das ist eine Falle, in die wir nicht tappen sollten.

Dass diese Falle schon länger sehr gut gestellt ist – zeigt der US-Journalist Chris Hayes in seinem Buch „The Sirens‘ Call“, das gerade auf englisch erschienen ist – und beschreibt, „wie Aufmerksamkeit zur gefährdetsten Ressource der Welt wurde“. So lässt sich der Untertitel übersetzen.

Zwei Aspekte stecken in dieser Idee. Einerseits geht es um den privaten Umgang mit Aufmerksamkeit – und ihrer Rückseite: der Langeweile. Dazu hat Hayes einen Gastbeitrag in der New York Times geschrieben. Andererseits geht es um die politische Dimension von Aufmerksamkeit, über die er in der Ezra-Klein-Show spricht – und den Begriff der Troll-Politik einführt:

Was den Einfluss angeht, so halte ich negative Aufmerksamkeit für unglaublich effektiv. Man kann von Trolling-Politik sprechen. Der Grund dafür, dass es Trolling gibt, ist, dass es einfacher ist, negative Aufmerksamkeit zu bekommen als positive Aufmerksamkeit. Das schafft ein Dilemma für die andere Seite. Die Frage ist: Ignoriert man sie, während sie furchtbare Dinge sagen? Oder geht man auf sie ein und gibt ihnen, was sie wollen? Und ich denke, dass diese Art von Troll-Politik, die Donald Trumps Idee ist, den größten Wandel in der heutigen Politik darstellt.

Das Muster dieser Troll-Politik funktioniert auf großer politischer Bühne nicht anders als in Online-Foren. Und sie funktioniert – weil sie unsere Aufmerksamkeit gewinnt.

Wie wir diese besser schützen und selbstbestimmt einsetzen, ist eine zentrale Aufgabe für demokratische Öffentlichkeit(en) in den nächsten Jahre. Die Prinzipien von Rede und Gegenrede sind nämlich bei dieser Form von Glut-Theorie schon eingepreist und ausgepresst. Wer hier widerständig sein will, braucht andere Formen, seine eigene Aufmerksamkeit zu vergeben. Denn selbstverständlich sind all diese Herausforderungen der Aufmerksamkeits-Ökonomie keine amerikanischen Phänomene – sie sind bereits heute auch in Deutschland sichtbar (siehe KomMEMEtar). Deshalb braucht es auch hierzulande neue Ansätze, wie wir Aufmerksamkeit auf unsere Aufmerksamkeit lenken können.

Wenn du Interesse hast, rauszufinden, wie diese Wege aussehen können: trage dich hier für den Aufmerksamkeits-Klub ein, den ich im Laufe des Jahres starten werde.