kress.de dokumentiert unter dem Titel Dem Journalismus geht es an den Kragen eine Rede, die der Medienwissenschaftler und Kollege Stephan Weichert am 17. Juli in der Akademie für politische Bildung in Tutzing gehalten hat. Stephan (den ich persönlich kenne und sehr schätze) beklagt darin – auch mit Verweis auf diese Umfrage, an der auch ich teilgenommen habe – ein Paradoxon, das er in Bezug auf den Zustand der Branche, festgestellt hat:
Dass die Befragten – egal, ob Onliner, Fernseh- oder Printleute – sich in der Regel absolut einig sind, dass im Internet ein enormes Potenzial für den Journalismus stecke – aber um eine Antwort, wie sich dieses Potenzial tatsächlich umsetzen lasse, sind die meisten Journalisten eher verlegen.
Vielleicht hat er damit Recht. Während ich darüber nachdenke – und seine Rede weiterlese – stelle ich jedoch fest, woran das liegen könnte. Im weiteren Verlauf benennt er nämlich vier Kernprobleme der Branche und verwendet dabei eine Begrifflichkeit, die zeigt, dass auch ein hochqualifizierter und von mir sehr geschätzter Medienwissenschaftler bei der tatsächlichen Antwort auf die Frage nach der praktischen Umsetzung der Potenziale des Web verlegen bleibt. Denn auch Stephan spricht von der „Umsonst-Kultur im Netz“ sowie vom „Gratis-Wahn“ und zitiert unreflektiert Mathias Döpfners Rede vom Web-Kommunismus, aus der er folgert, …
… dass Verlagsriesen wie die Axel Springer AG, Gruner+Jahr oder die WAZ-Gruppe es für absurd halten, ihre Inhalte einfach an die Nutzer herzuschenken – schließlich ist aufwändiger Journalismus mit immensen Kosten verbunden.
Das klingt gut und bringt in einer Rede sicher aus zustimmendes Kopfnicken. Für mich folgt darauf jedoch die Anschlussfrage: Wenn das so ist, warum gibt es denn dann die Nachrichten der „Verlagsriesen“ noch ohne Bezahlung im Netz? Weil sie plötzlich Web-Kommunisten geworden sind, die dem Gratis-Wahn erliegen und sich ohne Not fürs Verschenken entscheiden?
Wie in der Auseinandersetzung über vermeintlichen Diebstahl krankt auch die Debatte über Bezahlmodelle im Netz an einem begrifflichen Problem, das es allein sprachlich so schwer macht, neue Modelle zu finden. Denn: Es gibt keine Umsonst-Kultur im Netz. Die Beispiele der New York Times im Web und die von USA-Today auf dem iPad zeigen: Im Netz werden Umsätze mit Aufmerksamkeit gemacht, bei denen nicht im klassischen Sinne bezahlt wird. Solche Modelle (siehe zum Beispiel den Markt der Telefonbücher) sind keineswegs neu, im Netz sind sie jedoch äußerst populär, weil hier der enorme finanzielle Aufwand für den Vertrieb extrem gesenkt werden kann. Was nun passiert, wenn man in diesem digitalen Raum die Modelle des analogen anwendet, zeigt das Beispiel der britischen Times: die Aufmerksamkeit sinkt sehr viel schneller als Bezahlumsätze generiert werden.
So merkwürdig das klingen mag: Ich glaube wir brauchen noch einige Debatten (und vielleicht sogar Podiumsdiskussionen) Zeit, um dieser Herausforderung allein sprachlich Herr zu werden. Als das Radio eingeführt wurde, dauerte es auch eine Weile bis man mit der unverschämten neuen Möglichkeit Musik und Informationen ungezügelt zu verbreiten zurecht kam und dafür Modelle entwickelte. Es ist jedoch so, dass alle Debatten und Diskussionen so lange ergebnislos bleiben werden, wie sie mit einem eingeschränkten Blick die spezifischen Rahmendaten des digitalen Raums ausblenden.
Dass sogar gute Leute wie Stephan Weichert in diese Falle tappen, zeigt, dass wir hier nicht bloß über eine sprachliche Kleinigkeit sprechen, sondern über einen grundlegenden Wandel, den man nicht gestalten wird, wenn man in die Rede vom Verschenken einstimmt.
Zum Weiterlesen zum Thema noch ein Tipp: Marcel Weiss hat auf neunetz.com ein paar sehr interessante Texte zu der Frage der vermeintlichen Kostenlos-Kultur verfasst.
14 Kommentare
Lieber, geschätzer Kollege Dirk von Gehlen,
nun hast du aber all die anderen klugen Sachen unterschlagen, die ich aufgeschrieben habe;-)
Nein, im Ernst: ich zitiere hier doch Döpfner und mir geht es darum, auf den Verlegern nicht nur herumzutrampeln, sondern ihre Befindlichkeiten ernst zu nehmen – schließlich hängt auch die Zukunft der SZ und übrigens auch das von dir geleitete Portal (noch!) am Tropf der zahlenden Zeitungsgemeinde.
Ich glaube also nicht, dass ich in irgeneinde „Falle getappt“ bin, auch keine sprachliche, wenn ich die aktuelle Problematik, dass noch keine Bezahlmodelle gefunden wurden (hoffentlich werden sie es bald), mit dem Döpfner-Zitat auf den Punkt bringe. Ich gebe zu, dass die Rede für Online-Verhältnisse sehr lang ist, aber wenn du weiterliest, steht irgendwo folgende Passage, die eher den Kern meiner Rede und meine Ansichten dazu wiedergibt:
„Allerdings müssten Journalisten bereit sein, in anderen Kategorien, Kontexten und Begriffen zu denken. Sie müssten sich immer mehr zu Moderatoren und Mediatoren wandeln, die stärker auf die Präferenzen von Nutzern Rücksicht nehmen und deren Mithilfe in Anspruch nehmen. Die veränderten Raumvorstellungen im Netz erfordern zudem angepasste Arbeitstechniken und Darstellungsformen, die größtenteils noch entwickelt werden müssen. Nur ein hochentwickelter Journalismus im Internet schafft einen echten Mehrwert und verbessert letztlich Medienqualität.“
Ich glaube, wenn Journalismus das schafft – von mir aus auf dem iPad oder sonstwo – dann wird er dafür auch Geld verlangen können. Der analoge eindimensionale Zeitungsjournalismus wird dagegen in den nächsten 5 bis 10 Jahren aussterben, aber ich glaube da sind wir einer Meinung.
Herzliche Grüße
Stephan Weichert
ich kann der ganzen diskussion nicht mehr folgen, da ich sie für generell blödsinnig halte.
kostenlos-kultur kann etwas nur sein, wenn auch die produktion kostenlos ist. ist sie es nicht, ist es bestenfalls eine refinanzierungskultur oder in unserem gesellschaftsgebilde ein geschäftskonzept. das wiederum kann vielfältig sein und muss nicht zwingend auf direkter bezahlung beruhen.
soweit so bekannt. bei allem dezentralisierungshype im internet sollte man nicht vergessen, dass bei einem einheitlichen angebot, und das sind reine news/nachrichten nunmal, das immer gleiche marktprinzip gilt:
zentralisierung in form von ein paar großen angeboten die genau das liefern. schnell, zuverlässig und in der breite. d.h. die kleine tageszeitung, die versucht da mitzuspielen, kegelt es irgendwann raus. bestenfalls kämpfen um diesen markt dann irgendwann mal die agenturen gegen spon & co.
was im internet tatsächlich an jeder ecke vorhanden ist, dass ist der gemeine kommentar, die ansicht, die meinung. dieser teilbereich lässt sich vielleicht erhalten, in dem er zur angebotsabrundung umdefiniert wird. damit wird aber kein geld mehr verdient.
bleibt der boulevard, als erlebnisform, und die story/recherche-ecke. hier fließt zur zeit kein geld zu den verlagen, da es im internet derenseits kaum stattfindet. das versucht man krampfhaft im print zu halten, weswegen sich der markt hierzu die alternativen suchen wird .. was, auf lange sicht, die verlage ein stück vom kuchen kosten wird.
mE ist es sehr eindeutig, in welche richtung der markt gehen wird und was zu tun ist, wenn man daran teilhaben will. dafür müsste man nun nur den vorreiter spielen und mut beweisen.
das schaffen aber nicht mal die deutschen internetfinanziers, die sich hauptsächlich auf das zeugs konzentrieren, was in den usa funktioniert, es hier nachbauen und dann an die marktführer verkloppen.
wir sind kein innovationsfreudiges land. wir optimieren eher das lange ende. passt dann, in 20-30 jahren.
mfg
mh
Dem ist eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen, ausser vielleicht einem Flattr-Button unter den Artikel. ;)
Lieber Stephan,
das ist ja gerade das Spannende: Wir sind in den Zielen nicht weit voneinander entfernt und sogar in dem Ansinnen, die Befindlichkeiten der Verleger zu verstehen beieinander. Und natürlich habe ich die Stelle, in der Du (sehr richtig wie ich finde) einen Wandel anmahnst, gelesen (und unter anderem auch deshalb Deinen Text verlinkt).
Aber zu diesem Wandel zählt für mich eben auch, anzuerkennen, dass die Rede von der Kostenlos-Kultur innovationshemmend ist. Sie führt nämlich rein sprachlich in die Irre. Und so lange wir eine Herausforderung nicht in Worte kleiden können, können wir sie auch nicht gestaltend annehmen.
Konkret heißt das: Gerade weil ich glaube, dass wir Bezahlmodelle finden müssen, bin ich dafür, die Worte „Umsonst-Kultur“ oder „Gratis-Wahn“ zu streichen. Denn wenn wir diese lediglich bekämpfen wollen, werden wir keine neuen Modelle finden. Das in den vergangenen Monaten meist disktutierte neue Modell Flattr zum Beispiel entwickelt seine Grundidee genau daraus, dass es anerkennt, dass Inhalte „verschenkt“ werden.
Aber abgesehen von all diesen inhaltlichen Aspekten freue ich mich, dass Du hier kommentiert hast – und vor allem so schnell.
Herzlichen Gruß
Dirk
@mh: zu diesem Thema gab es die Tage ein sehr spannendes Gespräch mit Mercedes Bunz bei W&V:
http://www.wuv.de/nachrichten/digital/mercedes_bunz_der_fokus_auf_nachrichten_ist_eher_hinderlich
sehr gut, danke. widersprechen würde ich allerdings in diesem punkt:
„Man liest ja eine bestimmte Zeitung nicht wegen der Nachrichten, weil man seine eigene Weltsicht in dem dort kuratierten Wissen wiederfindet.“
doch genau das ist der fall. der mensch will sich nicht ständig verändern und neuorientieren sondern eine verlässliche linie vorfinden.
mfg
mh
[…] Digitale Notizen » Blog Archive » Wer soll das bezahlen? – (Tags: PaidContent Onlinejournalismus ) […]
Die Debatte um paid cotent ist absurd – denn die wichtigen Medien in Deutschland praktizieren dieses Modell schon längst! FAZ, SZ, Welt, Spiegel, Zeit – keines dieser großen Medien ist kostenlos online. Mit Ausnahme von Spiegel Online sind die Websites dieser Medien nur Schaufenster zum eigentlichen Printinhalt, den man bestenfalls als E-Paper kostenpflichtig abonnieren darf. Die Verleger schützen das Argument der Kostenlosigkeit nur vor, um per Leistungsschutzrecht unter Artenschutz gestellt zu werden. Ich habe dies in einem Kommentar zu dieser Frage bei Carta schon mal geschrieben:
http://bit.ly/akmUN2
Und noch ein Missverständnis: Es ist nicht so, dass die Verleger einst vom Verkauf von Inhalt gelebt hätten, woran sie nun durch das Internet gehindert würden. Das Feuilleton oder der Politikteil der Zeitungen haben sich noch nie aus sich selbst heraus refinanziert. Die Verleger lebten vom Verkauf eines Bündels, das den Inhalt mit transportierte. Ihre Zeitungen waren vor allem durch die Rubrikenanzeigen Organisatoren des Marktes. Und da sie in ihren Regionen zumeist das Monopol hatten, konnten sie die Preise festsetzen. Die Zeitungen waren Geldmaschinen. So traurig es ist: Diese Funktion mussten sie an Google, Ebay und Amazon abtreten, die den Markt effizienter organisieren. Nun wollen die Verleger den Inhalt zum Profitcenter machen. Eine Illusion!
Oh, ich bin leider zu spät – spannende Debatte.
@mh
Du hast Hardy Prothmanns Heddesheimblog vergessen, das Modell wird laufen lernen. Lies dazu auch mal Marian Semms wunderbare Serie Lokalzeitung; auf seinem Blog sagt er noch viele andere kluge Dinge.
Zu möglichen Bezahlstrukturen hat sich Robert G. Picard bereits früher geäußert, auch immer lesenswert.
@Thierry
Das Scheinargument ist doch schnell entlarvt, wenn man sich u.a. das hier mal ansieht http://www.axelspringer.de/presseSpringer und nach „rekord“ sucht …
Schlimm ist nicht das Argument an sich, sondern die Lobbygläubigkeit der politisch Ausführenden, die gerne auf so etwas hereinfallen, wenn es nur bestimmt genug behauptet und oft genug wiederholt wird.
upps … Beim obigen Link bitte „Springer“ am Schluss streichen: http://www.axelspringer.de/presse
@thierry:
fakt ist, ich zahl da nix und es stört mich bspw. auch nicht, dass ich manche artikel bei der faz erst 2-3 tage später lesen kann.
mit dem anderen argument kann ich allerdings gar nichts anfangen. da verkennst du mE die funktionsweise des internets genauso wie die verleger.
die hatten früher ein produkt, in dem alles drin war. nun haben sie eine internetseite, in der zwar auch alles drin sein kann … nur gibt es für jeden bereich, beim thema dienstleistungen, einen wesentlich besseren anbieter den ich ebenso schnell erreiche wie mich dort durchclicke.
d.h. das modell des gemischtwarenmarktes kann so nicht mehr funktionieren. deswegen kaufen die verlage zu, doch sind diese zukäufe dann eigenständig. da wird nichts vermischt … schlussendlich stellt sich in einem unternehmen immer die frage, ob das was man tut direkt oder indirekt profitabel ist .. schlimmer noch, ob es profitabel genug ist.
d.h., um auch den bogen zu vera zu spannen: springer kauft stepstone und stellt nach 10 jahren fest, dass sie damit wunderbare renditen erwirtschaften, während bild.de eigentlich nur kostet und man da auch nicht rauskommt. also wird bild.de eingestampft oder verkauft.
d.h. es ist durchaus ein thema, ob journalistische angebote finanzierbar sind. was kein thema ist, ist ob die reine newsverbreitung finanzierbar sein kann. da hat es den platz für 3-4 große portale, mit angeschlossenen journalistischen inhalten.
@vera: diese regioblogs sind special interest. das ist nochmal ein anderes thema.
Nachteil von Onlinemedien gegenüber Printmedien hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit ist wohl, dass sich im Internet ganze Ausgaben einzelner Medien vorerst viel schwerer bis überhaupt nicht verwerten, d.h. verkaufen, „verticken“ lassen. Das Internet ist mit seinen Einzeladressen für jede einzelne Seite viel mehr ein Medium einzelner Artikel als die Printmedien. Unter anderem das verändert die Verwertbarkeit journalistischer Medien im Internet völlig.
[…] war an unterschiedlicher Stelle bereits die Rede von der so genannten Kostenlos-Kultur des Netzes (zuletzt im Interview mit Stefan Münker). Wiederholt ist dabei betont worden, dass es […]