Kai Gniffke hat eine Vision. Der neue Vorsitzende der ARD verrät diese aber erst ganz am Ende dieses empfehlenswerten Gesprächs über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und allein diese Tatsache zeigt das Dilemma der aktuell laufenden Debatte. Je nach Perspektive musste der SWR-Indentant sich so lange verteidigen, dass er erst am Ende dazu kam, seine Vision zu präsentieren oder die Haltung der ARD-Spitze ist halt so wenig mutig und zukunftsgewand, dass ein Zukunftsbild nur dann zur Sprache kommt, wenn am Ende noch Zeit ist.
Jedenfalls hatte Gniffke kurz vor Abpfiff des Gesprächs in aussichtsreicher Position den Ball und spielt sich mit diesen Worten in eine wie ich finde herausragende Abschlussposition:
Ja, wir haben die Vision einer großen Plattform, auf der Menschen Inhalte teilen, auf der sie Informationen teilen, auf der sie ihre Medienangebote nutzen – egal, ob sie sie zu unterhaltenden oder zu bildenden oder zu Informationszwecken nutzen.
Eine Plattform mit transparenten Algorithmen, die genau den Menschen sagt, was machen wir, was empfehlen wir dir, nach welchen Logiken. Und die ARD-Mediathek, gemeinsam mit dem Netzwerk mit dem ZDF könnte doch der Nukleus sein. Und das wäre meine Vision, dass wir es dann beitragsoffen machen. Eine gemeinsame deutsche Medienplattform, an der auch andere Medienhäuser partizipieren können. Und die nächste Stufe ist dann, dass wir es auf eine europäische Ebene heben. Das ist mein Traum, das ist meine Vision. Dafür kämpfe ich.
In diese Situation war er gekommen, weil Moderator Michael Risel nach dem Dilemma von Twitter gefragt und Gniffke in seiner Antwort deutlich gemacht hatte, dass er das Vorgehen von Elon Musk für problematisch halte. Der Elefant war also im Raum – und dieses Bild (Fotomontage aus einem Screenshot der ARD-Mediathek) ist in diesem Fall nicht als Bild gemeint, sondern als besonders feinfühlige Mastdon-Anspielung:
Warum kündigt der neue ARD-Vorsitzende mit dieser Vision nicht einen ARD-Mastodon-Server an? Die in Deutschland erfundene dezentrale Austauschplattform ist nach einem elefantenartigen (Tröt!) Mammut benannt und wird weltweit als Alternative zu Twitter gehandelt. Es wäre also naheliegend nicht die auf leanback-Nutzung angelegte Mediathek zum ersten Schritt auf dem Weg einer europäischen Plattform zu wählen, sondern die im Sendegebiet des MDR erfundene Fediverse-Anwendung.
Der große Vorteil dabei: Ganz im Sinne iterativer, digitaler Entwicklung könnte sie diesen Mastodon-Server als Test aufsetzen und die Öffentlichkeit an den Erfolgen und auch am Scheitern teilhaben lassen:
Was wäre das für ein Zeichen, wenn die ARD einen Mastodon-Server für zwölf Monate aufsetzt und dann in einem transparenten Prozess die Öffentlichkeit daran teilhaben lässt, was dabei gut läuft und wo Probleme auftauchen? Wenn sie damit einem (sicher auch internationalen) Publikum zeigt, wie sie das freie Internet nutzen und mitgestalten will? Welche Moderationsregeln gelten auf dem ARD-Server? Wie gelingt es, dort vielfältige Stimmen zu Wort kommen zu lassen? Welche Messzahlen kann sie außer Reichweite und Trafficzuführung entwickeln, um die Bedeutung von Inhalten zu messen?
Auf alle diese Fragen könnte ein Testzeitraum Antworten liefern – und durch eine kluge RSS-Einbindung könnte der Mastodon-Server sogar der Nukleus für einen öffentlich-rechtlichen RSS-Reader oder einen Podcast-Player werden, der auch nicht ARD-Inhalte distribuiert. Durch einen vorab definierten Testzeitraum besteht zudem jederzeit die Möglichkeit, das Projekt auch ohne Schaden zu beenden.
Das ist alles nicht einfach so gemacht, aber viel schneller und sichtbarer realisierbar als der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Plattform. Was es dafür jetzt braucht? Eine Antwort auf die Frage: Wer zeigt Kai Gniffke Mastodon?