In der morgigen Ausgabe des Stern schreibt Rüdiger Barth unter dem Titel „Die Mitte ist vorn“ über das Land von Philipp Lahm und Lena Meyer-Landrut im Sommer 2010. Es ist ein Text voller Pathos und großer Worte. Und es ist ein Text, der mehr über den Zustand des etablierten Eltern-Deutschland sagt als über das „junge Deutschland“, für das die beiden angeblich stehen: „Lena ist die Stimme der Jungen und Lahm ihr Anführer“ heißt es in dem Text, der sich voller Begeisterung daran macht, in Lenas Oslo-Sieg und Lahms Kapitänsbinde die gesellschaftliche Mitte wiederzuentdecken. Dabei handelt es sich um eine Schicht,
die gewöhnlich keine aufregenden Geschichten zu erzählen hat, weil man in diesen Kreisen eher geräuscharm vor sich hin lebt, aus dem Alltag das Beste zu machen sucht und sich sein Zuhause zurechtzupft, bis es passt: (…) die alles wegwuppende Mitte.
Dass es diese allem Zweifel zum Trotz sehr wohl gibt, versucht der Text mit jeder Menge elterlichem Stolz zu belegen. Denn die „Kinder von nebenan“, als die „Lahm und Lena“ beschrieben werden („denen wir vorgestern noch über den Schopf gestrichen haben. Denen wir morgen, wenn sie zu Besuch kämen, die Grillwurst auf den Teller packten“) sind nicht nur „hochambitioniert“, sie sind vor allem „dabei niemals furchteinflößend“. Das bezieht sich zunächst auf ihr Auftreten („Lahm ist eine neue Generation Mann“), aber es bezieht sich – und da wird der Artikel in seinem Subtext wahnsinnig spannend – ganz eindeutig auch darauf, dass sie den eigenen Eltern keine Furcht einflößen. Diese müssen (Lena Lahm sei dank) keine Angst vor der in Wahrheit doch ganz normalen Jugend haben.
Dabei gehören Lena und Lahm doch, so dachte man, jener Facebook-Generation an, die Fortpflanzungspartner nur noch online findet, die andere als „Freunde“ bezeichnet, ohne sie zu kennen, diese durchdigitalisierte Jugend, von der die Älteren mit Sicherheit wissen, dass sie niemals mehr Zeitungen lesen, keine tiefe Zuneigung empfinden kann. Ein Typus Mensch, der so individualisiert lebt, dass er Mühe hat, sich mit sich selbst zu verabreden.
Mir ist schon klar, dass der Text diese Fallhöhe braucht, um aus seinen beiden Protagonisten irgendeine weitreichende Bedeutung für das große Ganze abzuleiten. Aber selbst wenn man das einrechnet: dieser „Typus Mensch“, der hier gezeichnet wird, scheint dem Autoren sehr wohl Furcht einzuflößen. Und er bewohnt erkennbar die andere Seite des digitalen Grabens.
Besonders wird der Text durch den Schluss, den er aus der diagnostizierten Normalität der neuen Mutmacher zieht:
Doch plötzlich stellt sich dieser Reflex ein, es ist ein wenig wie beim ersten Weltmeistertitel 1954: Wir sind ja doch noch wer! Wir haben ja noch uns.
Erstaunlich finde ich daran natürlich zum einen den Pathos-Grad, zum anderen lässt sich daran aber ablesen, wie groß in Wahrheit die Verunsicherung sein muss in der Eltern-Generation, die sich danach sehnt, Grillwürste auf Teller zu packen und Kindern über den Schopf zu streichen und stattdessen eine Generation nachwachsen sieht, die im Internet verschwindet …
UPDATE: Ben hat sich auch mit der Verbindung von Lahm und Lena befasst und verweist auf diese Lena-Coverversion: