Er ist an seinem Schreibtisch in der Redaktion zusammengebrochen. Abends um kurz vor neun, nachdem er von einer Podiumsdiskussion mit Laura Poitras, Glenn Greenwald und Edward Snowden kam (der aus Moskau zugeschaltet war). So ist es in den Nachrufen auf David Carr nachzulesen. Der Medienjournalist der New York Times wurde 58 Jahre alt.
Alexis Madrigal hat bei Fusion einen ergreifende Erinnerung an Carr aufgeschrieben. Es ist kein klassischer Nachruf, es ist eher ein Blogeintrag. Madrigal erzählt sehr persönlich – von sich, von dem Moment als er vom Tod Carrs erfuhr. Er berichtet, wie er gerade seinen Sohn ins Bett bringt, als ihn die Nachricht via Twitter erreicht. Der Text ist weniger im Sinne von „wie gedruckt“ geschrieben, er ist eher im Sinne von „wie erzählt“ gebloggt. Es ist eher ein persönlich gesprochenes Wort, mit dem Madrigal an Carr erinnert als ein Nachruf im klassischen Sinn.
Madrigal erinnert sich daran, wie er Carr kennenlernte, er erzählt seine eigene Geschichte und wie diese mit Carr verwoben ist. Der Text endet mit dem Satz: „Rest in peace, Carr. You made us all better.“ Es ist ein berührender Text, aber es ist auch ein Beweis dafür, wie das Web das Schreiben verändert. Irgendwo mittendrin steht diese eine Passage, die Madrigal eher sagt als schreibt. Er erinnert sich an die Umstände, als er (der gerade noch seinem Sohn eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hat) ein Webprojekt mit Freunden startete und Carr dann darüber schrieb:
We were young and didn’t have kids and you know, YOLO. It was possible, so we should do it.
Ja, das ist Blogstil. Das ist nicht der Stil, in dem man klassischer Weise gedruckte Worte schreibt. Es ist eher gesprochen, yolo! Die Abkürzung in dieser Erinnerung ist eine Zustandsbeschreibung für die „mir steht die Welt offen“-Haltung junger Menschen: Yolo halt. Madrigal lässt mit dieser Referenz und dem Gegensatz zu seiner aktuellen Situation (we didn’t have kids) einen Zeithorizont aufscheinen, aber er schafft vor allem einen Rahmen: Immerhin ist dieser Text dann doch ein Nachruf, der Anlass ist der Tod eines Menschen. Und in dem eher dahingesagten YOLO entsteht so ein Moment der Erkenntnis: „You only live once“ geschrieben in einem Nachruf, ohne Pathos dafür mit der Haltung des Möglichmachens, des Aufbrechens und Gestaltens: „It was possible, so we should do it“, erinnert er sich – und verleiht dem Text eine Tiefe, die nur durch die Beiläufigkeit der Worte gelingt.