Die Kuppel über dem Lesesaal der Nationalbibliothek des Vereinigten Königreichs in London ist sehr berühmt. Dieser Tage ist sie auf der Website der FAZ zu sehen. Sie illustriert deren im Oktober 2014 angekündigtes Projekt „Lesesaal“. Dabei handelt es sich um ein Social-Reading-Angebot, das die Zeitung aus Frankfurt gemeinsam mit Sobooks realisiert (Hintergrund zu Sobooks hier im Blog)
„Ein Versuch“ schreibt FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube in dem Text, der unter dem Foto mit der berühmtem Kuppel folgt. Als Freund des Social-Readings, persönlicher Bekannter von Sobooks-Gründer Sascha Lobo und Fan seiner Idee freue ich mich über diesen Versuch. Denn als Gastgeber im SZ-Lesesalon im vergangenen Herbst habe ich festgestellt: Es ist wie gesagt noch viel zu tun in Sachen gemeinschaftlichem Lesen und Schreiben.
Ich würde mich freuen, wenn Sobooks und der FAZ-Lesesaal mithelfen könnten, dem Social-Reading und -Writing in Deutschland Auftrieb zu geben – und bin gespannt wie sich der Versuch aus Frankfurt entwickelt. Deshalb hier drei Fragen zum Start:
a) Warum schreibt Jürgen Kaube über den Versuch, dass sich in Wahrheit doch gar nichts ändern soll? „Wir, die Redakteure der Feuilletonredaktion dieser Zeitung, stellen ein Buch, das uns interessant erscheint, so vor, wie wir es immer tun, in Form einer Besprechung. Dabei geben wir eine signifikante Stichprobe aus dem Buch zum Beleg unserer Eindrücke und unseres Urteils. Die Kooperation mit den jeweiligen Verlagen erlaubt es uns, diesen längeren Textabschnitt auf unserer Website zur Verfügung zu stellen. Leser, die ihn kommentieren wollen, das ganze Buch kommentieren wollen oder in ein Gespräch untereinander über beides treten möchten, können das mittels der von Sobooks entwickelten Technologie tun. Die Kommentare werden moderiert, die Redaktion wird nach Kräften antworten, es werden Zeitfenster geöffnet zum Dialog mit den Lesern.“
b) Weshalb ist die erste Besprechung, die FAZ-Literaturredakteurin Felicitas von Lovenberg im Lesesaal anbietet, eigentlich schon fertig? Weshalb sind darunter die Kommentare deaktiviert? Weshalb findet man in Sobooks selber (Screenshot oben) nur einen Kommentar der Literaturkritikerin?
c) Und überhaupt: Warum der Lesesaal der British Library? Unter der großer Kuppel gelten strenge Regeln, nicht wenige beziehen sich auf die Ruhe, die im Lesesaal zu wahren ist: „Consider other Readers and behave in a way that does not disturb them and respects their privacy. If it is necessary to talk, please do so quietly.“
Dabei müsste es doch genau ums Gegenteil gehen: Ums Reden, Debattieren! Um den Mut, eine Diskussion anzustoßen. Ich wünsche der FAZ und uns allen etwas mehr davon!
Update: Bei Sobooks hat Sascha einen ausführlichen Blog-Eintrag zu den Hintergründen veröffentlicht.
1 Kommentar
ich finde die Metapher des Lesesaals überhaupt ziemlich schief. Dass der Lesesaal zum Lesen (und Studieren) und nicht zum Diskutieren gedacht ist, ist das eine. Das andere: Lesesäle kosten im Normalfall keinen Eintritt. Um hier wirklich mitzumachen, muss ich das Buch aber ausgerechnet bei sobooks kaufen. Wenn ich es als Hardcover habe, in der Bibliothek (oder gar im Lesesaal!) gelesen habe/lese oder auch bei einem vernünftigen ebook-Laden erwarb, kann ich nicht richtig mitmachen, weil ich dann bei sobooks keinen Zugriff auf den gesamten Text habe. Und den sobooks-Zwang, permanent online zu sein, finde ich immer noch nicht so toll (abgesehen davon, dass er an der/meiner Realität vorbeigeht und mich zum Lesen an dafür nicht optimalen Bildschirmen zwänge). Immerhin konnte die FAZ wohl dahingehend beeinflussen, dass man beim Lesesaal jetzt auch bei sobooks auch ein epub bekommt …
Vor allem aber ist bei so etwas für mich halt immer die Frage: Will ich wirklich mit den anderen dort über diesen Text diskutieren? Das wird natürlich noch abzuwarten sein, wie sich das entwickelt – bei meiner Stichprobe am Wochenende ist mir angesichts der (für mich/in meinen Augen) dummen/nervenden Kommentaren das Interesse gleich wieder vergangen …