„Es gibt keine Start- und keine Ziellinie, keine Streckenposten, keine Verpflegungsstationen, keinen gemeinsamen Ort – und doch gibt es einen gemeinsamen Lauf, der unter neuen Bedingungen stattfindet. Ein Lauf in die Zeit, die nicht mehr einzig vom Durchschnittsprinzip bestimmt wird.“ Mit diesen Worten habe ich in „Meta – Das Ende des Durchschnitts“ das Prinzip so genannter Virtual Runs beschrieben. Es handelt sich um Laufveranstaltungen, bei denen Teilnehmer*innen sich nicht an einem Ort, sondern in der digitalen Vernetzung treffen, um gemeinsam zu laufen.
Ich finde diese Form der Vernetzung (nicht nur beim Laufen) äußerst spannend – und habe hier im Blog schon wiederholt darüber geschrieben. Durch Zufall bin ich auf Crowdlauf gestoßen, ein Projekt, das Virtual Run für einen guten Zweck anbietet. Das hat mich so fasziniert, dass ich zum einen am Wochenende beim #everybodyisperfect-Lauf von theatritralisch.com mitgelaufen bin (Hintergründe hier, Beweis hier), sondern im Anschluss auch Daniel von Crowdlauf ein paar Fragen zu seinem Projekt gestellt habe.
Bist Du selber Läufer?
Ja, aber eher Trail-Läufer. Ich laufe also am liebsten Berge hoch und runter.
2012 habe ich begonnen, regelmäßig zu laufen. Ich war damals auf einer vierwöchigen USA-Reise und sah in Kalifornien so immens viele Jogger. Das hat mich inspiriert. Seitdem laufe ich zwei- bis dreimal pro Woche.
Meine Leidenschaft für das Trail-Laufen kam 2018, als ich zum ersten Mal an einem 25 km Trail in Innsbruck teilnahm. Mittlerweile laufe ich auch Ultra-Distanzen über 60 oder 70 km. In 2020 steht mein erster 108 km Trail mit 5.000 Höhenmetern an. Das wird krass!
Wie bist Du auf das Konzept Virtual Run gekommen?
Ich kannte das Konzept bereits aus dem englischsprachigen Raum. Dort ist der Begriff Virtual Run seit mehreren Jahren gut etabliert.
Virtual Runs sind eine besondere Art von Lauf-Event, bei denen man von jedem beliebigen Ort der Welt aus teilnehmen kann. Du meldest dich online an, läufst deine übliche Trainingsrunde im Park, trackst deine Kilometer und trägst danach deine Distanz und Zeit auf einer Website ein. Oft erhältst du als Belohnung eine Medaille, die dir per Post geschickt wird.
Für Läufer*innen aus Deutschland war es aber immer etwas doof, dort mitzumachen, weil der Versand der Medaillen oft sehr lange dauerte und auch kostspielig war. Das machte die Teilnahme an diesen Virtual Runs eher unattraktiv. Also haben Robert und ich im Jahr 2017 Crowdlauf gestartet und damit Virtual Runs nach Deutschland geholt.
Ein Aspekt, den ich an virtuellen Läufen immer etwas merkwürdig finde, ist die Startnummer. Wenn du als einziger im Park eine trägst, schauen alle immer etwas verwirrt. Ihr habt trotzdem Startnummer im Angebot. Warum?
Um ehrlich zu sein: Ich würde während eines Virtual Runs in der Öffentlichkeit auch keine Startnummer tragen!
Bei uns haben die Startnummern vor allem den Zweck, dass sie dich – wenn du nach deinem Lauf Fotos machst, um deine Kilometer bei uns einzureichen – eindeutig als Virtual-Run-Teilnehmer*in ausweisen. Dafür reicht es aber völlig, die Startnummer erst hinterher herauszuholen.
Manche tragen sie aber trotzdem während ihres Laufs, weil sie das an einen Wettkampf erinnert – und das motiviert sie dann zusätzlich. Manche haben sogar ihre Medaillen beim Laufen mit dabei, was schon krass ist, weil die meisten unserer Medaillen sehr groß und schwer sind. Man muss hier auch wissen: Bei uns erhalten alle Teilnehmer*innen ihre Medaillen schon vor dem Lauf, damit sie glücklich und gut gelaunt losstarten.
Ich laufe gerne und finde das Konzept von Virtual Runs großartig. Ich glaube sogar, dass man es noch weiter steigern könnte: Es wäre ja möglich, dass viele Teilnehmer*innen tatsächlich zur gleichen Uhrzeit an einem bestimmten Tag starten – aber eben an unterschiedlichen Orten. Habt Ihr sowas mal geplant?
Das wäre tatsächlich mal einen Versuch wert. Wenn alle zur selben Zeit am selben Tag starten und im Anschluss die ganze Crowd ihre Fotos vom Lauf im Netz teilt, hätte das mächtig Wumms in Sachen Aufmerksamkeit. Ein zentraler Aspekt von Crowdlauf ist nämlich auch, über wichtige soziale und ökologische Themen aufzuklären. Das könnte durch solch eine Aktion gut funktionieren.
Bis jetzt haben wir die Teilnahmezeiträume bei jedem Virtual Run immer auf mehrere Tage bis hin zu mehreren Wochen ausgedehnt. Einfach deshalb, weil die Crowdlauf-Community noch nicht so groß ist. An einem Wochenende finden alle irgendwann mal Zeit, einen Lauf zu machen. An einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit ist das für viele nicht mehr so leicht zu schaffen. Wir müssen ja immer auch versuchen, bei einem Virtual Run eine kritische Masse zu mobilisieren, damit wir etwas bewirken können.
Ihr betreibt Crowdlauf zum zweit. Dein Geschäftspartner sitzt in Hamburg, Du in Straubing. Schon mal gemeinsam einen Virtual run unternommen?
Ha! Nein, es ist uns tatsächlich noch nicht gelungen, gemeinsam – also physisch nebeneinander – zu laufen. Wenn wir einen Virtual Run veranstalten, läuft Robert in Hamburg mit und ich in Straubing, so wie die meisten Crowdläufer*innen das an ihren Wohnorten auch machen.
Aber Eure Zusammenarbeit basiert ja auf dem gleichen Prinzip der „virtuellen“ Zusammenarbeit. Wie macht Ihr das?
Wir haben Crowdlauf von Anfang an so konzipiert, dass wir alles möglichst schlank halten können. Das heißt bei uns: Wir arbeiten komplett von unseren Home Offices aus. Ein zusätzliches Büro brauchen wir nicht, das würde uns nur teure Miete kosten. Auch die Medaillen, die wir über unseren Online-Shop verkaufen, lagern im und um das Home Office herum. Sie werden auch von hier aus verpackt und verschickt – bei einem täglichen Spaziergang zum Briefkasten.
Auf Geschäftsreisen verzichten wir fast vollständig. Wir treffen uns lediglich einmal im Jahr zu einem Strategie-Wochenende, um über die Zukunft von Crowdlauf zu sprechen. Ansonsten haben wir immer mittwochs einen festen Skype-Termin, zusätzlich zu unserer täglichen Kommunikation über Slack und E-Mail. Alles, was wir entscheiden, wird in einem Wiki protokolliert. So behalten wir den Überblick, was wir wann machen wollen.
Dieses Prinzip, alles schön schlank zu halten, wenden wir übrigens auch auf die Weiterentwicklung von Crowdlauf an: Wir haben viele Ideen, wohin die Reise für uns gehen könnte. Aber wir überlegen uns sehr genau, und wählen auch sehr genau aus, welchen Schritt wir wann tun wollen.
Wir sind z.B. 2017 mit einer einzigen Medaille gestartet, um erstmal das Konzept „Medaille kaufen und für einen guten Zweck laufen“ vorsichtig zu testen. Als wir gemerkt haben, dass das gut ankommt, haben wir weitere Medaillen angeboten. Später kamen dann die Virtual Runs dazu, die auf den Medaillen aufbauen: Nur wer die Medaille hat, kann auch an dem dazugehörigen Virtual Run teilnehmen. So kommt eines zum anderen. Wie eine Treppe, die man hoch geht: Die zweite Stufe kann es nicht ohne die erste geben. Alles baut aufeinander auf.
Haben sich schon Anbieter von Laufsoftware wie Runkeeper oder Adidas Run bei Euch gemeldet, um mit Euch zusammenzuarbeiten?
Es gab schon mal Kooperationsanfragen von diversen Firmen. Aber die passten mit dem, was sie anbieten, nicht zu Crowdlauf. Lauf-Apps waren allerdings noch nicht darunter.
Klar, könnten wir uns da Kooperationen vorstellen! Wie cool wäre es, wenn z.B. jemand über die App eine Laufeinheit von sich zum Crowdlauf deklarieren könnte – und andere Leute die Medaille direkt über die App bestellen könnten. Da wir 75 % unseres Jahresgewinns an gemeinnützige Organisationen spenden, würden gleich mehrere Seiten davon profitieren.
Spekulier mal ein wenig: Wohin wird sich Crowdlauf in den nächsten Jahren entwickeln?
Wir sind als Social Business gestartet. Wir wollen auch in Zukunft 75 % unseres Jahresgewinns spenden und über wichtige soziale und ökologische Themen aufklären. Das ist das Herz und die Seele von Crowdlauf. Ich glaube nicht, dass sich daran jemals etwas ändern wird.
Was sich aber ändern kann, ist der Weg, den wir gehen werden, um diese Ziele weiter zu verfolgen. Wir finden es z.B. sehr spannend, zusätzlich zu unseren derzeitigen Aktivitäten spezielle Angebote für Firmen zu schaffen. Angebote, mit denen kleine und große Unternehmen Crowdlauf als Plattform nutzen können, um gemeinsam mit uns positive Effekte für die Umwelt und unsere Gesellschaft zu erzielen. Das wäre eine richtig interessante Sache.
Daniel war unlängst im runskills-Podcast zu Besuch und hat über die Idee von Crowdlauf gesprochen. Mehr übers Laufen (und was man vom Laufen für Medien lernen kann), hier im Blog: Ich habe über zwei Läufe geschrieben, an denen ich teilgenommen habe: einmal an dem Lauf nach dem Durchschnitt, den Global5K von Runkeeper und später am Global6k von World Vision. Beide Läufe waren Virtual Runs, das Konzept habe ich in meinem Buch „Meta – das Ende des Durschnitts“ beschrieben. Außerdem habe ich mit Gunnar Jans übers Laufen gesprochen und dazu passend Fünf Entwicklungen notiert, die man beim Laufen für (digitale) Medien lernen kann