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Dieser Text ist Teil der Oktober-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann!
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Wenn Menschen übers Scheitern sprechen, dann meist so wie Fans des FC Bayern über Ole Gunnar Solskjær sprechen: Es geht dann um epische Katastrophen, um absolute Tiefpunkte und herausragende Niederlagen. Der 26. Mai 1999 war ein solcher Epic Fail – für Bayern-Fans auf ewig verbunden mit dem Namen des norwegischen Fußballers: Ole Gunnar Solskjær erzielte in der Nachspielzeit des Champions-League-Finals den 2:1-Siegtreffer für Manchester United. Und das nachdem die Bayern seit der 6. Minute (und bis zur 90. Minuten) mit 1:0 geführt hatten. „Bayern hatte die Hand schon am Silber“, kommentierte Marcel Reif in dieser historischen Nacht von Barcelona – die Beispiel ist für ein außerordentliches Scheitern.
In der Dramaturgie der klassischen Scheitern-Geschichte dauert es dann eine Weile bis sich der tragische Held aufrappelt und gestärkt weiter macht – und kurz danach ein strahlender Held wird. Bei den Bayern dauerte diese Phase zwei Jahre und endete am 25. Mai 2001 in Mailand. Dort hielt Oliver Kahn den entscheidenden Elfmeter von Valencias Angreifer Mauricio Pellegrino und aus dem tragischen Zweiten von 1999 wurde 2001 ein strahlender Sieger.
Scheitern betrachtet im Lichte großer Erfolge – auf dieser Ebene funktionieren Failgeschichten sehr gut. Auf dieser Ebene strahlen sie hell, illustrieren eine gelebte Fehlerkultur und die Silicon Valley-These vom „Fail often, fail fast“. Was aber, wenn man gar keine epischen Niederlagen und schon gar keine darauf folgenden historischen Erfolge vorzuweisen hat? (Darüber habe ich nachgedacht, weil ich zur Epicfail-Night am 9.11. in München eingeladen bin)
Ich bin Fan vom VfL Bochum. Aus meiner Perspektive ist dies der großartigste Fußballverein der Welt. Aus Perspektive derjenigen, die Champions League schauen, muss das nicht unbedingt stimmen. Und dennoch ist der VfL Bochum (zumal aktuell) weit davon entfernt, ein Champions-League-Finale auch nur verlieren zu können. Als die Mannschaft zu Beginn der Saison 2002/2003 den historischen Erfolg der Bundesliga-Tabellenführung feierte (nein, nicht am Ende der Saison), schrieb der wunderbare Fußball-Autor Christoph Biermann diese Sätze über den VfL Bochum – und über das Scheitern als Prinzip:
Die Welt des VfL Bochum ist ewiger Abstiegskampf, Fahrstuhlfahrten zwischen den Ligen, Schmerz, Trauer – und immer wieder Hoffnung. Ein zähes „Ihr da oben, wir hier unten“ ordnet die Welt seit Anbeginn. (…) Sieger waren mir aber immer schon langweiliger als jene, die interessant zu scheitern wissen. Deshalb fand ich es auch besonders cool, Anhänger des VfL Bochum zu sein, weil es im Grunde haltlos uncool ist.
Es ist zudem keine gute Grundlage für Scheitern-Geschichten, an deren Ende ein strahlender Held steht. Anhänger des VfL Bochum zu sein ist aber eine wunderbare Grundlage, um eine andere Geschichte vom Scheitern zu erzählen. Nicht jene, bei der man eine Niederlage wegsteckt und dann glanzvoll siegt, sondern diese hier: Die Geschichte vom beständigen Scheitern, vom „immer wieder“ und vom „wir sind immer noch da“; die Geschichte vom „nicht unterkriegen lassen“ und vom „trotzdem“ (siehe dazu auch The Age of Trotzdem)
In Bochum hat man dafür den Begriff „Unbeugsam“ gefunden. So ist es im Leitbild des Vereins notiert, das man sich beim VfL genau vor zehn Jahren (und als erste Bundesliga-Mannschaft überhaupt) gab. Aus demjenigen, was Biermann „haltlos uncool“ nannte, hat man so ein Alleinstellungsmerkmal gemacht. Das, was aus der Perspektive des Rasenballs als Defizit gilt, hat man zu einer Qualität entwickelt. Ressourcenorientiert kann man das nennen, was im Leitbild unter dem Schlagwort: „Wir sind unbeugsam“ notiert ist
Die Geschichte unseres VfL Bochum 1848 ist ein Spiegel der Geschichte des Ruhrpotts: oft unterschätzt, von Großen bedrängt und geprägt durch Widrigkeiten, Rückschläge und Niederlagen – aber immer noch da!
Gestern, heute und morgen: Wir trotzen selbstbewusst den Widrigkeiten, kämpfen gemeinsam gegen Rückschläge und bleiben auch bei Niederlagen fair!
„Nicht unter kriegen lassen“ ist unser Antrieb, „immer wieder aufstehen“ unser Prinzip, „trotzdem“ unser Motto!
Ich mag diese Perspektive auf Erfolg und Scheitern, weil sie anders ist als jene des epischen Versagens als Vorstufe zum Sieg. Ich mag sie, weil sie für Beharrlichkeit steht, für Ausdauer und Aushalten. In der unübersichtlichen, komplexen Welt, in der uns Prognosen und klare Zuschreibungen immer schwerer fallen, ist mir das fast schon bockige „Trotzdem“ zudem eine angemessene Richtschnurr für Pluralität. Den Widrigkeiten zu trotzen, Rückschläge zu meistern und am Ende den Kopf oben zu behalten und festzustellen: Wir sind immer noch da – das ist eine andere Geschichte als jene des großen Erfolgs. Der Umgang mit dem Scheitern ist hier nicht herausragend, sondern alltäglich. „Immer wieder aufstehen“ ist hier ein Prinzip, das einrechnet, dass man verliert, sich beständig korrigieren muss – aber das eben auch kann.
Denn das ist doch der Grund, warum wir in Wahrheit übers Scheitern sprechen: Weil es nicht mehr reicht, einfach nur im Recht zu sein. Weil die Welt so komplex geworden ist, dass man nicht selten überfordert ist und deshalb oftmals eben falsch liegt. Das geht aber nur, wenn man sich selber eingesteht, sich zu korrigieren. Wenn man seine Meinung nicht rausbrüllt, sondern ändern kann. Scheitern in diesem alltäglichen, nicht epischen Sinne interpretiert, ist ein Plädoyer für Pluralität – für die Annahme, dass man selber falsch und der andere richtig liegen könnte. Und bei diesem Verständnis von Scheitern geht es nicht darum, dass man sich einmal ganz doll geirrt hat und dann ganz richtig lag, sondern um einen kontinuierlichen Zweifel. Und um die Fähigkeit, trotzdem und immer wieder die Hoffnung nicht zu verlieren. Denn das scheint mir dringend überfällig: Hoffnungen ernst zu nehmen – und nicht nur Sorgen.
Deshalb: Am Montag besiegt der VfL Bochum im Abendspiel den Tabellenführer – ich hoffe jedenfalls drauf. Trotzdem!
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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem man mir beim Denken zusehen kann.
In diesem Newsletter sind z.B. erschienen: „Unser Land – unsere Regeln“ (September 2017) „Selbstverpflichtung gegen den Terror“ (August 2017), „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Was Medien vom Laufen lernen können“ (Mai 2017), „Fairer Teilen“ (März 2017) „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017), „Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein“ (Oktober 2016), „Ein Dutzend Ideen für die Journalistenausbildung“ (September 2016) „Kulturpragmatismus“ (Juni 2016), „Denke kleiner“ (Februar 2016 ) „Social-Media-Gelassenheit“ (Januar 2016).
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