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Dieser Text ist Teil der September-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann!
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„Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“ Diese Worte stammen von Jens Stoltenberg aus dem Jahr 2011. Damals war der heutige Nato-Generalsekretär Ministerpräsident von Norwegen. Er sagte diese Worte als Reaktion auf den terroristischen Angriff in Oslo und auf der Insel Utøya. Die Zeit schrieb damals: „Er verteidigte genau jene offene und freie Gesellschaft Norwegens, die der Attentäter mit seinen Waffen und Bomben bekämpfen wollte. Dessen Hass und Destruktivität setzte Stoltenberg eine fast trotzige Zuversicht entgegen.“
Ich glaube, es ist auch in Deutschland Zeit für mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit. Der Angriff, den wir hierzuland auf die freie und offene Gesellschaft erlebten, ist zwar in keinerweise vergleichbar mit den Ereignissen in Norwegen – die Reaktion darauf ist es aber schon. Denn ich bin überzeugt davon, dass die nachhaltigste Antwort auf den Wahlerfolg der rechtsnationalen AfD darin besteht, die Regeln der offenen und freien Gesellschaft zu benennen und vorzuleben.
Die Art und Weise wie Teile der Union im Nachklang der Wahl versuchen, die Wähler*innen der AfD zurückzugewinnen, legt den Verdacht nahe, dass der Rassismus und das Gedankengut der AfD nun nicht zum ersten Mal ins Parlament einziehen. Es gab sie dort – wie auch in der Gesellschaft – schon vorher, vielleicht nur nicht so klar erkennbar als eigene Fraktion. Vielleicht müssen wir nach der Wahl anerkennen: Nationales und rassistisches Gedankengut „rechts von der Union“ gehören zu diesem Land. Und es die Aufgabe, einer freien und offenen Gesellschaft damit umzugehen, dafür zu werben, dass ein plurales Land die im Wortsinn bessere Alternative ist. Wer will, dass Rassismus im Parlament keinen Platz hat, darf nicht rechte Flanken schließen, sondern muss dafür sorgen, dass Rassismus aus den Köpfen verschwindet.
Und vielleicht kann dabei ausgerechnet ein Plakatslogan der AfD helfen, an dem ich in den vergangenen Wochen immer wieder vorbeifahren musste – eh er kurz nach der Wahl umfiel: „Unser Land – unsere Regeln“ steht auf dem Plakat. Und vielleicht geht es jetzt genau darum: die Spielregeln der Demokratie deutlich zu machen. Ich glaube, dass Demokratie wie ein Muskel funktioniert – unter Belastung wird sie stärker. Wir müssen sie trainieren. Das Wahlergebnis vom 24. September ist eine klare Aufforderung!
Mir ist schon klar, dass der Slogan als Abgrenzung gegen das Fremde gedacht ist. Aber warum nutzen wir ihn nicht als Erinnerung daran, was Demokratie und Pluralismus in diesem Land bedeuten?
Unser Land – unsere Regeln bedeutet für mich deshalb zuerst: der Bezug aufs Grundgesetz, auf die Würde des Menschen, auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es bedeutet, Pluralismus und Toleranz nicht nur in Sonntagsreden anzusprechen, sondern im täglichen, inklusiven Miteinander zu leben und zu fördern. Freiheit ist in diesem Land immer auch die Freiheit des Andersdenkenden – und zum Andersdenken. Es heißt nicht, dass man immer Recht hat, es heißt auszuhalten, dass man unrecht haben kann. Wahrheit – ein Begriff, der auch auf dem Plakat steht – ist nichts, was man unumstößlich besitzen kann. Wahrheit muss sich immer wieder neu beweisen.
Das sage übrigens nicht ich, die Idee stammt von Karl Popper, der den Begriff „offene Gesellschaft“ prägte – und völlig zurecht immer dann skeptisch wurde, wenn Ideen totalitär wurden. Es scheint mir an der Zeit, Popper neu zu lesen – und sich mit einem ¯\_(ツ)_/¯ gegen diejenigen zu wappnen, die auf Angstmache und einfache Antworten setzen (ausführlich beschreibe ich das in meinen Buch „Das Pragmatismus-Prinzip“, das im Januar erscheint)
Unser Land – unsere Regeln bedeutet, dass nicht entscheidend ist, wo jemand herkommt. Das Grundgesetz spricht nicht durch Zufall von der Würde des Menschen und nicht von der Würde des Deutschen. Es bedeutet, dass wir auf Menschlichkeit setzen und auf die christlich-abendländische Tradition der Nächstenliebe. Die verträgt sich nicht mit Abgrenzung, Nationalismen und Rassismus. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist der Garant für das Unreine, für das Carolin Emcke in ihrem sehr empfehlenswerten Buch „Gegen den Hass“ plädiert. Unser Land – unsere Regeln ist auf diese Weise verstanden ein Aufruf zur Toleranz, zum Aushalten der gegenteiligen Meinung – in den Worten Jens Stoltenbergs: Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.
Wir haben in diesem Sommer – aufmerksame Newsletterleser*innen haben es verfolgt – im Rahmen des DemocracyLab der SZ ein Experiment in Sachen Demokratie, Offenheit und auch Menschlichkeit gewagt: Wir haben versucht, unsere demokratische Streitkultur zu verbessern.
Ich glaube, dass darin jetzt eine zentrale Aufgabe liegt: Streiten zu lernen! Wir müssen demokratische Spielregeln vorleben. Dem Fernsehen kommt dabei eine besondere Vorbildfunktion zu. Hier muss demokratische Streitkultur zu sehen sein, die den Perspektivwechsel salonfähig macht und mehr Pluralismus und Demokratie wagt. Nicht aus Naivität, sondern weil das beste Mittel gegen Hass eben nicht neuer Hass ist, sondern ein engagiertes Eintreten für das Unreine und eine „Kultur des aufgeklärten Zweifels und der Ironie“.
Lesen Sie es nach bei Carolin Emcke und werden Sie demokratisch aktiv – zur Inspiration kann diese tolle Liste vom „Was machen“-Team dienen, die seit Juni einen aktivierenden Newsletter verschicken!
PS: Es ist vermutlich kein Zufall, dass ich ausgerechnet in diesem Monat auf ein Gif des Illustrators Magoz gestoßen bin, das diese Haltung perfekt auf den Punkt bringt – übrigens über Sprach- und Nationalgrenzen hinweg.
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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem man mir beim Denken zusehen kann.
In diesem Newsletter sind z.B. erschienen: „Selbstverpflichtung gegen den Terror“ (August 2017), „Freiheit zum Andersdenken“ (Juli 2017), „Was Medien vom Laufen lernen können“ (Mai 2017), „Fairer Teilen“ (März 2017) „Streiten lernen – für ein besseres Internet“ (Januar 2017), „Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein“ (Oktober 2016), „Ein Dutzend Ideen für die Journalistenausbildung“ (September 2016) „Kulturpragmatismus“ (Juni 2016), „Denke kleiner“ (Februar 2016 ) „Social-Media-Gelassenheit“ (Januar 2016).
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2 Kommentare
Absolut d’accord – lass uns die Regeln setzen, nicht die AfD!
Das Bild mit dem Muskel ist ein schönes, aber auch gefährliches: suggeriert es doch, Rechtspopulismus sei die nötige Belastung. Der Muskel gewinnt aber nicht durch den Schmerz, sondern die dauernde, korrekte Ausführung, dem Training: eben (mehr) Demokratie.
Und das Bild der ‚offenen Flanke‘ ist ein besch…eidenes:
Denn es ist ein defensives, verteidigendes, ‚Sich-Einigeln‘ suggerierendes. Demokatie braucht das genaue Gegenteil.
[…] §58 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags regelt die „Bestimmung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters“. Ich finde es nicht richtig, diese Regeln zu ändern, weil man die Inhalte des politischen Gegenüber für falsch hält. Zumal dann nicht, wenn man damit dessen Narrativ bedient. Wenn man „die Kraft der Kultur für den Erhalt unserer demokratischen Werte stärken“ will, wie es in dem Brief heißt, dann muss man die demokratischen Werte über seine eigene richtige Meinung stellen können. Nur so t… […]